Schattenstunde
nach seinem Erbauer benannt? Hört sich alles nach ziemlich viel Zufall an, aber wenn’s eine Verbindung gibt, dann komme ich einfach nicht drauf.«
»Ich kann das erledigen. Geh zurück ins …«
»Nein, er hat recht. Wir müssen nachfragen. Es ist einfach …« Er schob am Rücken die Hand unter sein T-Shirt, um sich zu kratzen. »Ich fühle mich dreckig, und es nervt mich. Aber wir müssen das machen.«
Der Geist folgte uns in den Kriechkeller.
»Wie vermeide ich, dass das noch mal passiert, was ich letztes Mal gemacht habe?«, fragte ich. »Sie in ihre Körper zurückholen?«
Schweigen. Ich zählte bis sechzig und fragte dann: »Hallo? Sind Sie noch da?«
»Bleib ruhig. Konzentrier dich. Aber sei vorsichtig. Behutsam. Deine Kräfte … zu stark.«
»Meine Kräfte sind zu stark?«
Ich konnte mir das Lächeln nicht verkneifen. Ich war mir vielleicht nicht sicher, ob ich diese Kräfte überhaupt wollte, aber es war trotzdem cool, gesagt zu bekommen, dass ich mehr davon hatte als der durchschnittliche Nekromant. Als machte man einen IQ -Test und fände heraus, dass man klüger ist, als man gedacht hätte.
»Dein Alter. Solltest nicht imstande sein …«
Schweigen. Ich wartete geduldig, um das nächste Wort nicht zu verpassen. Und wartete.
»Hallo?«
Er begann von vorn, Wort für Wort. »Zu früh. Zu viel. Zu …«
Eine längere Pause.
»Etwas ist falsch«, sagte er schließlich.
»Falsch?«
Derek kam aus den Schatten gekrochen, aus denen er schweigend zugehört hatte. »Was sagt er?«
»Irgendwas mit meinen Kräften. Dass etwas daran falsch ist.«
»Zu stark«, sagte der Geist. »Unnatürlich.«
»Unnatürlich?«, flüsterte ich.
Dereks Augen blitzen auf. »Hör nicht auf ihn, Chloe. Dann bist du also mächtig. Na, so was. Alles in Ordnung mit dir. Versuch, dir einfach Zeit zu lassen.«
Der Geist entschuldigte sich. Er gab mir noch ein paar Ratschläge und sagte dann, er würde von der »anderen Seite« aus zusehen, nur für den Fall, dass seine Gegenwart meine Kräfte beim letzten Mal verstärkt hatte. Wenn ich ihn brauchte, würde er zurückkommen. Noch ein Wort der Warnung davor, es erzwingen zu wollen, und er war verschwunden.
35
D erek zog sich wieder in den Schatten zurück und ließ mich in Ruhe dort sitzen, im Schneidersitz, die Taschenlampe vor mir auf dem Boden. So gern ich sie auch als eine Art Kerze eingesetzt hätte, um die Dunkelheit zurückzudrängen, ich hatte sie so hingelegt, dass der Strahl auf die Stelle fiel, wo wir die Leichen wieder verscharrt hatten – in der Hoffnung, Derek würde es sehen, wenn der Boden auch nur zu zittern begann, und mich warnen, bevor ich die Toten beschwor.
Beim ersten Mal hatte ich eine Visualisierung verwendet, um die Geister aus ihren Körpern zu befreien, und so tat ich jetzt das Gleiche. Ich stellte mir vor, wie ich die Geister aus dem Äther herunterlockte und sie wie ein Zauberkünstler, der sich einen endlos langen Schal aus dem Ärmel zieht, zum Vorschein brachte.
Ein paarmal fing ich etwas wie ein Flackern auf, aber es verschwand sofort wieder. Ich arbeitete weiter, langsam und methodisch, und stemmte mich gegen die Versuchung, mich stärker zu konzentrieren.
»Was willst du?«, schnappte eine Frauenstimme, so nah und so klar, dass ich hastig nach der Taschenlampe griff, kurzzeitig überzeugt, dass eine der Schwestern uns erwischt haben musste.
Stattdessen fiel der Lichtstrahl auf eine Frau in einem Twinset. Das zumindest war es, womit ihr Oberkörper bekleidet war. Sie schien zu stehen, und ihr Kopf streifte die Decke, was bedeutete, dass sie bis zum Oberschenkel im Boden steckte. Sie war um die dreißig, mit kinnlangem blondem Haar, und ihr scharf geschnittenes Gesicht war verkniffen vor Ungeduld.
»Also, Nekromantin, was willst du?«
»Sag ihr, sie soll uns in Frieden lassen«, sagte eine weinerliche Männerstimme weiter hinten in der Dunkelheit.
Ich leuchtete mit der Taschenlampe in seine Richtung, erkannte aber nur eine undeutliche Gestalt ganz hinten an der Wand.
»Ich w-will einfach nur mit euch reden«, sagte ich.
»Das ist uns auch klar«, schnappte die Frau. »Rufst und zerrst und belästigst uns, bis du uns gegen unseren Willen rübergezerrt hast!«
»Ich h-hatte nicht vorgehabt …«
»Du kannst einfach keine Ruhe geben, oder? Hat es denn noch nicht gereicht, uns wieder in unsere Körper zu sperren? Weißt du, wie das ist? Man setzt sich hin und freut sich auf einen ruhigen Nachmittag, und plötzlich steckt
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