Schattensturm
drüben.« Ingmar nickte. »Beim Schalter der Norwegian.«
Derrien nickte gleichfalls. »Warte hier. Achte darauf, wer mich beobachtet.«
»Wird gemacht.«
Derrien durchquerte die Halle und reihte sich in die Warteschlange vor dem Schalter der Norwegian Air.
Seine Nervosität war heute geradezu unerträglich. Sein Herzschlag war hart, in seinen Schläfen pochte ein drückender Kopfschmerz, den er so überhaupt nicht von sich kannte. Er versuchte sich abzulenken, indem er ein Prospekt aus einem Ständer nahm und mit zitternden Händen darin blätterte, doch nach fünf Minuten stellte er fest, dass er sich an kein einziges der Urlaubsziele erinnern konnte, die darin angeboten waren.
Schließlich kam er an die Reihe. Er legte den Ausweis vor, den er nach der Versammlung von Loch Affric von Casey MacRoberts erhalten hatte, und versuchte, etwas zu sagen, brachte jedoch keinen Ton aus seiner trockenen Kehle. Doch zum Glück benötigte das Mädchen am Schalter keine Worte. »Wie viele?«, fragte sie. Er zeigte ihr Zeige- und Mittelfinger, woraufhin sie ihm lächelnd zwei Besucherplaketten über den Tresen schob. Er griff danach, ließ sie beinahe fallen und zitterte sie schließlich in eine Hosentasche.
Nervös
, hatte Ingmar gesagt. Ha! Nervös war gar kein Ausdruck!
»Alles in Ordnung, Boss?«, fragte Tom, der ihn längst bemerkt und sich nun zu ihm gesellt hatte.
Derrien nickte nur, seiner Stimme nicht mehr vertrauend.
»Sorry, Boss, aber ich habe niemanden gesehen, der auf die Beschreibungen passt.«
»Hmm«, machte Derrien und ließ ihn stehen.
Großartig
, dachte er bei sich.
Entweder er ist nicht da, oder er hat sich getarnt.
Derrien fragte sich, ob er selbst den Schatten erkennen würde, wenn er ihn sah. Wenn nicht, konnte das lebensgefährliche Folgen haben.
Lebensgefährlicher als der Verrat, den du planst
?
, fragte ihn eine lästige Stimme in seinem Hinterkopf.
Er ballte seine Hände in den Taschen zu Fäusten. »Ha!«, murmelte er. Er hatte die Gesetze der Kelten oft genug gebrochen, um sich darum keine Sorgen machen zu müssen. Allein die Existenz der germanischen Talente geheimzuhalten war ein enormes Verbrechen gewesen, das Derrien ohne Gewissensbisse begangen hatte. Dagegen war das hier geradezu ein Witz.
Und trotzdem …
Er ging zurück zu Ingmar, der ihm von zwei Männern erzählte, die nahe dem Eingang auf einer Bank saßen und interessiert in ihre Richtung sahen. Derrien starrte zurück und erkannte einen der beiden als den Leibwächter, den Martin damals bei ihrem ersten Treffen in der Bergener Unterwelt dabei gehabt hatte – dem Treffen, das Brynndrech so spektakulär gestört hatte. Der Mann bemerkte seinen Blick und nickte ihm kurz zu.
Das muss nichts bedeuten
, beschloss Derrien. Wachsam und mit bis zum Zerreißen angespannten Nerven ging er mit Ingmar zur Sicherheitsschleuse. Dort zeigte er ihre beiden Besucherausweise, worauf sie ohne Probleme passieren durften. Zwar mussten sie dabei wie jeder andere Fluggast auch den Metalldetektor passieren, aber davor hatte ihn Casey gewarnt. Das System mit den Besuchermarken, das der schottische Häuptling hier installiert hatte, war nur dazu geeignet, ohne Ticket in den Abflugbereich zu gelangen. Es war
nicht
dazu gedacht, irgendwelche Waffen dorthin zu befördern. Es blieb nur zu hoffen, dass die Gegenseite ebenfalls keinen Weg gefunden hatte …
Hinter der Sicherheitsschleuse führte der Korridor an denDuty-Free-Shops vorbei zu den Abfluggates. Derrien ignorierte die Läden, in denen Reisende Parfüm und Alkohol zu angeblich billigeren Preisen einkaufen konnten, und folgte dem Strom der Passagiere zu den Gates, wo sich auch mehrere kleine Bars und Cafés befanden. Er hatte keinen genauen Treffpunkt mit Martin ausgemacht, aber dort rechnete er am ehesten mit ihm.
»Dmitriy!«, rief plötzlich jemand.
Derrien zuckte zusammen, als er seinen Decknamen hörte, und sah sich hastig um. Sein Blick blieb kurz bei einem Rollstuhlfahrer hängen, der im Eingangsbereich eines Zigarettenladens saß und in seine Richtung sah. Er wollte schon weitersuchen, als ihm auffiel, dass er das Gesicht kannte. Die grobporige Nase, das sorgfältig rasierte Gesicht, eine fleckige Halbglatze über einem weißen Haarkranz … Es war Martin! »Hübsche Verkleidung!«, meinte er, nachdem er zu ihm getreten war und den beiden Leibwächtern zugenickt hatte, die hinter Martin im Duty-Free-Shop standen und so taten, als interessierten sie sich für Pfeifentabak.
Martin
Weitere Kostenlose Bücher