Schattensturm
und bedankte sich noch einmal mit einem kräftigen Händedruck. Dann zog ihm Robert die Binde wieder über die Augen und führte ihn davon.
»Alles Gute«, rief Baturix ihm hinterher.
Als er sich seinen übrigen Leuten zuwandte, standen diese mit leuchtenden Augen über dem Essen, das sie auf einem vom Schnee freigeräumten Felsen ausgebreitet hatten. Einer von ihnen flüsterte, mit Tränen in den Augen: »Frisches Brot, Herr! Frisches Brot …«
DERRIEN
Flughafen Trondheim, Norwegen
Samstag, 16. Oktober 1999
Die Außenwelt
Die ganze Busfahrt über war Derrien nervös und unruhig. Seine Zähne mahlten vor sich hin, so dass seine Kiefer bereits schmerzten, seine Stirn lehnte an der Scheibe und war bereits taub von der Kälte, die sich durch das Glas hindurch ausbreitete, doch das bemerkte er nur am Rande. Zu sehr war er in seine Gedanken versunken.
Das Risiko war groß. Schon der Kontakt zu den Renegaten war riskant gewesen – schließlich hatten die Kelten ihre Kooperation für den Krieg in Bergen mit dem Versprechen bezahlt, sich nie wieder in die Belange der Stadt einzumischen. Wer wusste schon, wie sie reagieren würden, wenn sie nun ein Kelte darum bat, ein Gespräch mit einem Bergener Schatten zu organisieren. Aber dieses Risiko war überschaubar. Während der Kämpfe und Anschläge in Folge der Schlacht von Espeland hatte Derrien ein paar Wochen lang mit Martin, dem Anführer der Bergener Renegaten, gearbeitet und glaubte nicht, dass er ihn betrügen würde.
Was blieb, war Lord Rushai. Die große Unbekannte in Derriens Plan.
»Nervös?«, fragte Ingmar neben ihm.
Derrien knirschte mit den Zähnen und ignorierte die Anmaßung. Ingmar war ein Germane und rief als solcher seinen Stammeshass hervor, doch wie alle Germanentalente, die zu Derriens Spionen gehörten, wusste Ingomar herzlich wenig von den übernatürlichen Vorgängen um ihn herum. Er wusste nicht, wie sehr allein schon seine Existenz ausreichte, Derrien zu provozieren.
»Hmm«, machte Ingmar und wandte sich ab. Offenbar war ihm Derriens Reaktion Antwort genug.
Eine monoton klingende Frauenstimme kündigte an, dass der Bus den Flughafen erreicht hatte. Derrien atmete tief durch, wartete, bis der Germane neben ihm aufgestanden war, und folgte ihm den Gang entlang nach draußen. Ingmar zog sich im Nieselregen die Kapuze seiner Winterjacke über den mit dunklen Stoppeln bedeckten Schädel und versenkte seine Hände tief in den Taschen. Derrien folgte ihm, den Regen für das kurze Stück bis zum Vordach der Wartehalle ignorierend.
Nachdem sie eine große Drehtüre durchquert hatten, befanden sie sich in einer riesigen Baustelle. Mehrere Segmente der Halle waren mit Trennwänden vor den Augen der Reisenden versteckt, an der Decke standen Teile der Verkleidung offen und gaben die Sicht preis auf aluminiumumwickelte Heizungsrohre und Kabelbrücken. Jener germanische Jarl, den er auf der Versammlung bei Hamburg gesehen hatte, hatte im Juni oder Juli den Flughafen verwüstet, die Reparaturarbeiten waren noch immer nicht fertiggestellt.
Dies war auch der Grund, weshalb sich Derrien für den Flughafen als Treffpunkt entschieden hatte. Die Sicherheit im Flughafen war seit diesem Ereignis deutlich verstärkt worden. Dort auffällig zu werden rief binnen Sekunden einen beachtlichen Haufen Polizei und Sicherheitsleute auf den Plan, eine Aufmerksamkeit, die sich eigentlich niemand leisten konnte. Wirklich sicher konnte sich Derrien jedoch nicht sein, was der Grund für seine Unruhe war.
Sein Blick tastete sich durch die Menschenschlangen an den Schaltern und die Leute auf den Wartebänken überall in der Halle. Mehrmals stieß er auf Gestalten, die man mit etwas Phantasie für Rattenmenschen halten könnte. Die Leute waren misstrauisch, jeder schien jeden zu beobachten. Hatten sie Angst vor einer weiteren Schießerei? Lag es an seiner Paranoia, dass er die Signale überinterpretierte? Oder waren es Agenten, die die Schatten– oder möglicherweise die Renegaten – hier eingeschleust hatten, um ihn in eine Falle zu locken? Er wusste es nicht. Und er hatte niemanden mehr, den er fragen könnte, seitdem seine beiden Seher-Talente tot waren. Leiff hatte es beim Kampf im
Heart’s Dancing Club
erwischt, Skjøld in Mogadischu. Er spürte ihren Verlust nun überdeutlich.
»Hast du Tom schon gesehen?«, fragte er Ingmar, der zwar ebenfalls ein Talent war, aber weder Leiff noch Skjøld ersetzen konnte. Er besaß nur Kämpfer-Kräfte.
»Dort
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