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Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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Vorräte, sie hatte keine Möglichkeit, ihn trockenzukriegen oder gar warm. Sie besaß noch nicht einmal sauberes Wasser. Ihre Situation war der Alptraum eines jeden Heilers. Das Einzige, was sie für ihn tun konnte, war, ihm die Schmerzen zu nehmen, und das wollte er nicht. Vor drei Tagen hatte sie die Wunde ausgeräumt, mit den Fingern, weil sie kein Werkzeug besaß. Sie wusste, welch höllische Qual das bedeutete, aber Brynndrech hatte nur grimmig gelächelt und den Kopf geschüttelt. Als Keelin ihre Finger zwischen die Muskelschichten seiner Flanke geschoben hatte und goldgelben Eiter herausgepult hatte, hatte er gekeucht, hatte den Ast durchgebissen, den er sich in den Mund gesteckt hatte, hatte mit seinen Füßen wüst gegen den Boden geschlagen, aber er hatte nicht geschrien, sondern tapfer durchgehalten. Er wollte es erdulden, hatte er gesagt, vielleicht wäre es das letzte Mal, dass er so stark empfinden würde. Anschließend hatte sie die Wunde mit dem brackigen Elbwasser ausgewaschen, mehrmals, bis das Wasser, das zurücklief, genauso aussah wie das, was sie hineinschüttete. Ihr war natürlich klar, dass sie auf diese Art und Weise neue Keime in seine Wunde einschleppte, aber zumindest wurden es weniger. Mehr konnte sie nicht tun.
    Sie erreichte den nächsten Elbarm. Sie schätzte kurz die Stärke der Strömung, beschloss, dass die Ebbe bereits genug nachgelassen hatte, und stieg in das Wasser. Es war kalt genug, dass ihr für einen Moment der Atem wegblieb, bevor sie mit kräftigen Zügen losschwamm. Sie beeilte sich, denn auch so war die Strömung noch stark genug, sie zwei- oder dreihundert Meter zu versetzen. Schließlich erreichte sie das andere Ufer und stapfte zurück zu der Stelle, an der ihre Spuren vom Morgen aus dem Schilf führten,um ihnen zu folgen. Sie hatte sich in den letzten Tagen schon mehrmals verlaufen, einmal gar so arg, dass sie geglaubt hatte, Brynndrech nicht mehr wiederzufinden. Seitdem ging sie lieber auf Nummer sicher.
    Einmal mehr verfluchte sie die Unlogik der druidischen Regenerationskräfte. Man konnte einem Druiden einen Dolch in den Bauch stecken und anschließend die giftigsten Gasbrand- und Wundstarrkrampfbakterien hineinschütten, und die Wunde würde genauso verheilen, als wenn sie Einbeerentinktur verwendet hätte. Wenn sie aber die gleichen Keime in eine magisch verursachte Wunde gab, würde der Druide binnen Tagen oder gar Stunden daran sterben. Sie verstand es nicht. Bei Brigantia und Sul, was machte es den Keimen denn aus, ob eine Wunde durch eine magische Waffe geschlagen wurde oder nicht? Es waren doch trotzdem die gleichen Keime! Sie seufzte kopfschüttelnd. Magie scherte sich nicht um Logik.
    Vor ihr schreckten zwei Lachmöwen auf und flogen meckernd davon. Keelin hielt inne und sah ihnen sehnsüchtig hinterher. Ob sie wohl bis nach Schottland fliegen konnten? Wie gern wäre sie doch ein Vogel! Wie gern würde sie einfach die Schwingen ausbreiten und davonfliegen! Nach Hause! Nur nach Hause …
    Aber wo war das? Der Hof ihrer Eltern war es sicher nicht. Selbst jetzt, wo ihr Bruder nicht mehr dort war, barg der Ort zu viele schlechte Erinnerungen. In der letzten Zeit hatte sie immer öfter das Glen Affric als ihr Zuhause gesehen. Aber dort würden sie Ansprüche an sie stellen, von ihr erwarten, dass sie sich wie eine Druidin verhielt. Würden sie sie erneut auf irgendwelche Treffen und Verhandlungen schicken, nach all dem, was passiert war? Und wenn ja, würde sie die Kraft besitzen, den Kopf zu schütteln und nein zu sagen? Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Wütend über sich selbst wischte sie sie zur Seite. Sie hasste sich und ihr Selbstmitleid.
    Schließlich erreichte sie den Elbarm, an dem sie Brynndrechs Versteck eingerichtet hatte, etwas weiter weg vom Ufer als daserste, aber nur unwesentlich trockener. Es war schon von weitem her leicht an den Heringsmöwen zu erkennen, die sich darum geschart hatten.
Geier der Meere
, dachte Keelin grimmig. Als sie sie bemerkten, flatterten sie kreischend auf und flogen davon. Die ersten sechs Tage hatten Brynndrech und Keelin Möwe gegessen, das hatten sich die Vögel offenbar gemerkt und waren etwas vorsichtiger geworden.
    Das eigentliche Versteck war wieder ein Weidenbaum, diesmal ein aufrecht stehender, dessen Traueräste einen Unterschlupf gebildet hatten. Keelin hatte zusätzlich Schilf in die Äste geflochten, um wenigstens einen Teil des Regens von Brynndrech abzuhalten. Es hatte kaum etwas gebracht.

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