Schattensturm
sich, und Pettar platzte mit kreidebleichem Gesicht herein. »Herrin!«, rief er, »Kommt! Seht!«
Veronika wechselte einen schnellen Blick mit Torwald, dann sprangen sie beide auf und eilten nach draußen, wo mehrere Krieger den Wehrgang entlang auf den Südwall eilten. Pettar deutete mit seinem Arm nach Süden.
Der Trollstigen-Pass war mittlerweile vollständig eingeschneit und bis auf die felsgrauen Bergflanken zu beiden Seiten schneeweiß. Es gab keine Bäume, das bisschen Vegetation, das sich hier oben halten konnte, war ebenso unter dem Schnee begraben wie der Pfad, der kleine See und alles andere. Umso deutlicher war die fettig-schwarze Rauchfahne zu sehen, die dort in den Himmel stieg, genau an der Stelle, an der das Hochtal einen Rechtsknick nach Westen machte. Soweit Veronika wusste, war dort der höchste Punkt des Tals, was auch immer dahinter lag war von hier aus nicht einsehbar.
»Willst du mir erklären, was wir hier sehen?«, fragte sie Pettar. »Es ist der Warnzauber«, erklärte dieser.
Veronika zog die Augenbrauen nach oben. »Ich dachte, das wären Lichtblitze!«
»Bei Nacht, Herrin. Bei Tag ist es Rauch.«
»Sollen wir
Andraste
läuten?«, fragte Torwald neben ihr.
»Nein. Lass zwei Pferde satteln, ich möchte mir das aus der Nähe ansehen. Wir brauchen nicht den ganzen Fjord aufzuschrecken, weil sich ein Späher einen Spaß mit uns erlaubt.«
Torwald nickte und rief ihre Kommandos in den Burghof hinab, während Veronika zurück in die Halle eilte. Am Eingang schlug sie mehrmals die kleine Handglocke und rief nach Gunnar.
Die Glocke zeigte Wirkung: Nur Augenblicke später purzelten ihre Germanen übereinander und behinderten sich in der Hektik des Alarms mehr, als dass sie vorankamen. Veronika machte sich eine mentale Notiz, das üben zu lassen, bevor es wirklich gebraucht wurde.
»Was ist los?«, fragte Gunnar, der sich nur mit einer langen Unterhose bekleidet zu ihr durchgearbeitet hatte.
»Der Wachzauber. Ich möchte zum Aussichtspunkt, also beeil dich.«
»Verdammt!«, fluchte Gunnar. »Brauchen wir Rüstungen?« Veronika schüttelte den Kopf, woraufhin der Anführer ihrer Berserker zurück zu seinen Sachen lief.
Sie selbst eilte nach draußen, wo einer der Männer bereits ihr Pferd gesattelt hatte. Ellis schnaubte und tänzelte unruhig, von der Hektik der Männer angesteckt, bis Veronika schließlich sicher im Sattel saß und ihr beruhigend die Stirn tätschelte. Es war das Pferd, das sie von Oslo bis nach Åndalsnes getragen hatte, auf ihm hatte sie ihre bisher schlimmsten Stunden in Midgard verbracht, sie kannten ihre gegenseitigen Macken gut genug. Immerhin hatte sie auf ihm richtig reiten gelernt.
»Öffnet das Tor!« Während ihre Männer dem Kommando Folge leisteten, sah sie zu Torwald hoch, der noch immer auf der Mauer stand. »Du übernimmst den Befehl, während ich weg bin«, rief sie ihm zu. »Schließe das Tor hinter mir und öffne es erst wieder, wenn du dir sicher bist, dass es Gunnar und ich sind, die zurückkommen. Gib uns eine Stunde, danach läutest du
Andraste
und rechnest mit dem Schlimmsten.«
Torwald nickte ihr zu. »Jawohl, Herrin.«
Sobald Gunnar auf seinem Pferd saß, ritten sie los. Nach der langen Zeit eingepfercht im Stall drängte Ellis voran, was Veronika nur gelegen kam. Je schneller sie wussten, was den Warnzauber ausgelöst hatte, desto schneller konnten sie darauf reagieren. Kurz ärgerte sie sich darüber, nicht mehr Männer mitgenommen zu haben, für den Fall, dass sie es nur mit einem sehr kleinen Trupp zu tun hatten, den sie angreifen konnten, aber vielleicht war es so besser. Einen Feind zu verfolgen barg immer das Risiko eines Hinterhalts, selbst hier oben in der scheinbaren Leere des Passes. Die Schneedecke selbst konnte Feinde verbergen …
Der Schnee war dicht und pappig, so dass er den Hufen ihrer Pferde guten Halt bot. Sie brauchten keine Viertelstunde, bis sie den Fuß des Alnestind erreicht hatten, dessen Spitze etwa achthundert Meter über dem Pass aufragte. Ein Pfad, von den Kelten aufwendig gekiest, mit Treppenstufen und an besonders schweren Stellen sogar mit Geländer versehen, führte etwa hundert Meter seine Flanke nach oben zu einem Aussichtspunkt, von dem man tief in den Pass hineinsehen konnte. Sie stiegen von den Pferden und warfen ihre Zügel über einen Pfosten, der hier genau für diesen Zweck in den Boden gerammt war.
Es war eine mühselige Kletterpartie. Der Pfad war trotz des frischen Schnees zwar gut genug zu
Weitere Kostenlose Bücher