Schattensturm
quietschten, als sich die S-Bahn ihrer nächsten Haltestelle näherte.
Mickey drückte sich an Keelin vorbei zum Fenster und presste seine Schläfe dagegen, um besser nach vorne schauen zu können. Das blaue Flackern der Blinklichter war nicht zu übersehen. Es musste mindestens ein Dutzend Fahrzeuge sein, schätzte Mickey.
Wenn drüben auch noch welche sind …
»Scheiße!«, fluchte er laut und zog hastig das Fenster auf. »Los«, befahl er, »raus hier!«
»Was?«, fragte Keelin verdutzt.
»Spring, wenn du leben willst!«, rief er ihr zu, bevor er sich aus dem Fenster warf.
Nach der Wärme des Waggons war die Luft draußen überraschend kalt. Mickey nahm noch in der Luft die Kampfgestalt anund versuchte, sich irgendwie abzufangen, doch das war auf dem geschotterten Schienenbett ein hoffnungsloses Unterfangen. Er kam mit den Beinen auf und spürte den höllischen Schmerz, mit dem seine Knöchel brachen, als ihn der Schwung der Fahrt umriss. Er versuchte, sich abzurollen, sein rechter Arm schlenkerte nutzlos durch die Luft, er sah nass glänzenden Schotter auf sich zurasen, spürte noch einmal einen heftigen Schmerz, der ein wahres Feuerwerk in seinem Kopf auslöste, überschlug sich und blieb benommen liegen.
Er verlor nicht das Bewusstsein, was ihn überraschte. Er hörte den Regen um sich herum prasseln und spürte, wie sich Kälte und Nässe langsam durch seine Kleider hindurch ausbreiteten, während der tobende Schmerz in seinem Körper nachließ. Knochen fügten sich wieder aneinander, Wunden verschlossen sich, bis er es schließlich wagte, vorsichtig aufzustehen. Er machte sich auf die Suche nach seinen Gefährten.
Spider war der Erste. Der dürre Albino lag gebrochen auf dem Schotterbett und war noch voll und ganz mit Regeneration beschäftigt. Als Nächstes fand er Armstrong, der es offenbar mit einem gewagten Sprung bis in die Böschung geschafft hatte. Mickey roch sein Blut, aber ein Stöhnen zeigte ihm, dass der Kämpfer es viel besser überstanden hatte als der Albino. Währenddessen war der Zug mittlerweile in die Haltestelle eingefahren. Gleich würden die Polizisten von den verstörten Passagieren erfahren, wo das Rudel abgeblieben war. Bis dahin mussten sie von hier verschwunden sein! Er hastete weiter, rannte, auf der hektischen Suche nach Colt und Keelin. Es war kein Wunder, dass sie nicht so schnell reagiert hatten, sie waren die Jüngsten und Unerfahrensten, aber er hoffte inständig, dass sie es irgendwie geschafft hatten …
Er roch sie, noch bevor er sie sah, zwei zerschlagene Körper, der eine zwischen den Schienen, der andere in der Böschung gegenüber. Mickey packte sich Keelin, die es zwischen den Schienen übel erwischt hatte, und wollte sie gerade die Böschung hinab zuColt bringen, als er Armstrong in seiner Kampfgestalt hinter sich bemerkte.
»Hilf mir!«, befahl er ihm. »Wir müssen hier weg! Schnell!«
Armstrong ließ ein zorniges Knurren hören. »Diesmal werden wir kämpfen!«, äffte er Mickey nach.
Mickey ließ den Körper der Druidin fallen und wirbelte herum. »WAS?«, fauchte er und duckte sich sprungbereit. Er spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, während frisches Adrenalin durch seinen Körper flutete und seinen Herzschlag in die Höhe schnellen ließ.
Armstrong zuckte zurück. »Alles in Ordnung, Boss!«
»Dann hol dir Colt und komm mit!«
Sein rechter Arm war noch immer gelähmt, so dass es ihm schwerfiel, sich Keelins Körper auf die Schulter zu laden. Währenddessen wühlte sich Armstrong in die Böschung und fischte Colt hervor, bevor sie gemeinsam zurückliefen. Spider war ebenfalls wieder auf den Beinen, als sie bei ihm ankamen. Während hinter ihnen die Sirenen aufheulten, rannten sie den Bahndamm entlang davon.
Zurück nach Hamburg …
Sonntag, 31. Oktober 1999
Es hatte wieder geschneit, stellte Veronika fest, als sie sich die Augen reibend auf den Burghof trat. Das Geräusch, das sie geweckt hatte, war das der hölzernen Schippen, mit denen zwei ihrer Männer den frischen Neuschnee davonräumten. Der Himmel über ihnen war wolkenbehangen und dunkelgrau vom Licht der Morgendämmerung.
Fröstelnd zog sie Mütze und Handschuhe aus den Taschen ihres Umhangs und schlüpfte hinein. Dann band sie sich ihren Schal um und machte sich, kaum weniger frierend, auf die Suche nach etwas zu essen. Bis zum »offiziellen« Frühstück würde esnoch dauern, ehe die Männer der Garnison erwacht und die Bänke in der Halle umgeräumt waren.
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