Schattensturm
irgendetwas von einer verlassenen Maschinenhalle erzählt und von ziemlich merkwürdigen Maschinen.#
»Könnte eine Fabrik gewesen sein.«
#Ja. Und wir haben Glück – diese Gegend hier ist ein Wohngebiet. So viele Fabriken kann es hier nicht geben.#
»Seht zu, was ihr herausbekommen könnt, und gebt mir Bescheid.«
#Machen wir. Rotkreuz, Ende.#
Wolfgang klatschte die Faust in die Handfläche. Plötzlich hatten sie wieder eine Chance! Hastig stand er auf und schlüpfte in seine Jacke. Es wurde Zeit, nach jemandem zu suchen, der seinen Job hier in der Zentrale erledigen konnte. Er spürte, dass sie ihn dort draußen brauchten.
Veronikas Krieger standen im eisigen Wind auf dem Südwall und beobachteten schweigend, wie sich unter ihnen die Armee formierte. Es war ein langwieriges Unterfangen, das sich bereits über Stunden hinzog. Wie Schachfiguren bewegten sich Bannerträger auf dem Vorfeld der Festung, um die sich dann die Krieger gruppierten. Zwischen den Abteilungen ritten Meldereiter und Anführer auf und ab. Einzelne Windböen trugen abgehackte Kommandoschreie zur Festung.
»Lasst noch einmal die Glocke schlagen«, befahl Veronika. »Fünf Minuten. Wie die letzten Male.«
Torwald nickte.
» Andraste !«
, rief er über den Burghof.
Kurz darauf dröhnte
Dommmmmmmmmmmmmmmmmmm
der erste Schlag
Andrastes
auf, ein tiefer, voll klingender Glockenton.
Dommmmmmmmmmmmmmmmmmm
, erklang der nächste, dann ging es weiter, immer weiter. Die Magie der Glocke würde dafür sorgen, dass jeder einzelne der Töne unten in der Stadt und den Siedlungen am Fjord zu hören war. Männer und Frauen würden von ihrer Arbeit aufblicken, würden sich erschrocken ansehen und darauf hoffen, dass es bei dem einen Schlag blieb. Der zweite Schlag würde sie zusammenzucken lassen, der dritte die Gewissheit bringen, dass es etwas Ernstes war. Sie würden Ausrüstung zusammensuchen, ihre Waffen, Rüstungen, wenn sie welche besaßen, Nahrung, soviel sie auf die Schnelle finden und tragen konnten, und zu ihren Herrn eilen, während weiterhin der tiefe Glockenschlag über den Fjord hallte und von ihrem Unheil kündete.
Veronika konnte nur zu gut mit ihnen fühlen. Ihre Germanen waren zwar fast vollständig zu Kriegern ausgebildet, aber das Zögern und Zaudern, das dem Scharmützel an der Furt von Åndalsnes vorausgegangen war, hatte ihr aufgezeigt, dass nur die wenigsten von ihnen auch Krieger im Herzen waren. Sie hatten gehofft, in Midgard am Romsdalsfjord ein neues Leben zu finden, fern der Abgründe Utgards, in die sie Armut, Trinksucht, Leichtsinn oder Schicksalsschläge getrieben hatten. Die Glocke riss sie aus ihrer Illusion. Sie bedeutete Krieg und Tod.
Mittlerweile hatten sie die feindlichen Krieger noch einmal etwas genauer gezählt. Sie schätzten die Armee auf ungefähr fünfbis sechstausend Mann, eine Zahl, die Veronika angst und bange werden ließ. Ihre Garnison bestand gerade einmal aus zweihundert Kriegern. Bei der Bundeswehr rechnete man bei einem Angriff auf einen im Wald verschanzten Gegner mit einer Verlustrate von etwa 3: 1, die sich im Straßenkampf auf etwa 7: 1 erhöhte.Sie hatte keine Ahnung, wie es sich bei einem Angriff auf eine mittelalterliche Burg verhielt, aber auf ein Verhältnis von 25: 1 zu hoffen war utopisch. Der Schluss daraus war deshalb so einfach wie furchteinflößend: Wenn sie nicht bald Verstärkung bekamen, würde sie hier nicht mehr lebend herauskommen …
»Wenn Ihr jetzt reitet, könntet Ihr ihnen entkommen«, riss Gunnar sie plötzlich aus ihren Gedanken.
»Bitte?«
»Ihr könntet noch fliehen. Die Garnison könnte die Festung halten, bis Ihr in Sicherheit seid.«
Veronikas erster Reflex war, empört den Kopf zu schütteln. Doch sie widerstand dem Impuls. Stattdessen dachte sie nach. Was waren ihre Alternativen? Hier oben mit ihren Männern auszuharren und zu sterben? Sie wollte noch nicht sterben! Aber das wollte niemand. Und – so arrogant und eingebildet es auch klingen mochte – ohne sie hatte die Garnison noch viel weniger Chancen als mit ihr. Ihr Kampfsinn konnte sie hier oben vielleicht über die Zeit retten, bis die Verstärkung aus dem Tal hier war. Deshalb schüttelte sie den Kopf. »Nein, Gunnar. Wir halten zusammen. Pech und Schwefel, du erinnerst dich?«
Gunnar nickte.
Irrte sie sich, oder war da für einen Moment Enttäuschung über sein Gesicht gehuscht? Hatte er etwa gehofft, als der Anführer ihrer Leibwache mit ihr der Gefahr entrinnen zu können? Sie zuckte in
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