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Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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Gerade eben hatten die meisten dort noch tief und fest geschlafen.
    Sie musste lächeln – der Winter hier in Norwegen verleitete dazu, den halben Tag zu verpennen. Die Nächte waren so lang, dass man abends wirklich
sehr
lange nach Sonnenuntergang aufbleiben musste, um mit dem Sonnenaufgang nicht länger geschlafen zu haben als nötig. Und solange Wolfgang in Deutschland war, fiel ihr beim besten Willen nicht ein, was sie abends so lange tun sollte …
    Mit kalten Fingern stieg sie die Leiter zum Torturm hinauf. Der Raum dort war als Wachraum eingerichtet, mit einem warmen Feuer, einer Truhe, in der die Verpflegung für zwischendurch aufbewahrt wurde, sowie einem Tisch und mehreren Stühlen. Ein Krieger in den Fellen der Nachtwache hatte sich einen davon vor das Feuer gerückt und wärmte sich seine Hände. Darüber hing ein Wasserkessel.
    »Guten Morgen, Pettar«, begrüßte sie ihn, während sie ihre Tasche nach dem Schlüssel für die Truhe durchsuchte. Davon gab es zwei Stück: Sie selbst besaß einen, den anderen trug Gunnar, der ihn nachts dem Anführer der Nachtwache auslieh.
    »Guten Morgen, Herrin.«
    »Eine ruhige Nacht gehabt?«
    »Ziemlich«, meinte er. »Und zum Glück nicht kalt.«
    »Nicht kalt?«, wiederholte sie ungläubig. »Ich finde, es ist kalt genug, sich den Arsch abzufrieren!«
    Pettar zog kurz verständnislos die Augenbrauen zusammen, und ihr fiel ein, dass er ja eigentlich ein Kelte war und mit dem Norrøn noch mehr Probleme hatte als sie. Er hatte vor zwei Monaten eine Germanin geheiratet und war daraufhin entwurzelt worden, so dass er jetzt als vollständiger Germane galt. »Ach, ich verstehe«, meinte er schließlich mit einem kurzen Grinsen. »Aber wir haben Westwind. Wartet mal, bis der Wind von Osten her bläst,
dann
wird es kalt.«
    Veronika verzog verdrießlich den Mund. »Ich wusste doch, dass dieser Wachdienst irgendeinen Haken haben müsste … Stammst du aus Utgard?«
    »Nein, Herrin.«
    »Hmmm.« Das bedeutete, dass er, wenn sie ihn fragen würde, wie kalt es war, etwas so Hilfreiches sagen würde wie »nicht so kalt wie damals, als dem dicken Bjarn die Nase zugefroren ist«. In Midgard gab es keine Thermometer. Sie beschloss, eine solche Konversation zu vermeiden, und fragte stattdessen: »Ist das Wasser heiß?«
    »Noch nicht ganz.«
    »Macht nichts.« Sie ging zum Kessel und schöpfte sich mit der Kelle eine Tasse voll. Sie trank zwei durstige Schlucke und fand, dass das Minzaroma ruhig ein wenig stärker hätte sein können. Doch das war Midgard. Wenn sie im Winter Minztee trinken wollte, der auch nach Minztee schmeckte, würde sie Gold dafür ausgeben müssen. Oder sie würde sich daran gewöhnen müssen, dass in Midgard Geschmäcke und Gerüche (und Farben auch, soviel sie wusste) viel subtiler waren als in der Außenwelt. Kein Wunder, dass der Gewürzhandel im Mittelalter die Händler reich gemacht hatte. Sie stellte die Tasse auf den Tisch und setzte sich auf einen der Stühle.
    Die Tür öffnete sich, und Torwald trat herein. Er war ein Mann in Veronikas Alter, schlank und nicht so muskulös wie viele andere ihrer Krieger. Sein Gesicht unter der dicken Fellmütze war rot von der Kälte. »Fürstin Gudrun.« Er verbeugte sich kurz. Dann zog er die Mütze vom Kopf und knöpfte sich die Jacke auf, um beides über einen Stuhl zu hängen. Pettar machte ihm Platz und verschwand nach draußen.
    »Seit wann rasierst du dich eigentlich nicht mehr?«, fragte sie Torwald. Er war einer der wenigen, die sich bis zuletzt gesträubt hatten, sich einen Bart wachsen zu lassen.
    Torwald strich sich kurz über die Wange, die ein etwa zweiwöchiger blonder Bartflaum bedeckte. »Es heißt, dass es weniger kalt ist mit Bart.«
    »Ich glaube, ich sollte mir auch einen wachsen lassen.«
    »Glaubt Ihr, Jarl Wolfgang würde das gefallen?«
    Veronika verzog scherzhaft das Gesicht. »Wohl kaum. War die Nacht über etwas Aufregendes?« Sie hatte schlecht geschlafen und war irgendwann mit dem Gefühl aufgewacht, ihr Gefahrensinn wollte ihr etwas mitteilen. Doch es war vergangen, und die Kälte war selbst in der Halle so schlimm gewesen, dass sie sich statt nachzusehen umgedreht und weitergeschlafen hatte. Wenn es wirklich wichtig war, würde sie ihr Instinkt schon intensiver warnen. Er hatte ihr schon unzählige Male das Leben gerettet, mittlerweile vertraute sie ihm blind.
    Torwald neigte abwägend den Kopf. »Eigentlich nicht«, meinte er dann. »Einmal hat –«
    Die Tür nach draußen öffnete

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