Schattensturm
schoss, schneller als Wolfgang reagieren konnte, zu ihnen über den Bahndamm.
Sie war riesig. Der Echsenleib war vom Maul bis zur Schwanzspitze gut zehn Meter lang, die Spannweite der Schwingen wahrscheinlich doppelt so breit. Die vier Beine des Dämons waren kurz und kräftig und mit riesigen Krallen bewehrt, das Krokodilsmaul unter einem Paar geschwungener Hörner und einem knochigen Rückenkamm gespickt mit spitzen Zähnen. Schuppen aus Rauch bedeckten seinen Leib und ließen seine genauen Umrisse zerfließen.
Sein Maul öffnete sich, und er brüllte. Beinahe zeitgleich schossen aus seinen Nüstern zwei lange Flammenstrahlen. Wolfgang wusste, dass es viel zu spät war, um zu reagieren, doch der Wind verblies das Feuer, so dass nur die Hintersten getroffen wurden. Wie menschliche Fackeln stolperten sie den Bahndamm hinab zum Hochwasser, das auch hier hüfthoch in den Gärten stand, ihre Schreie gingen selbst Wolfgang durch Mark und Bein.
Der Moment der Schockstarre ging vorüber, und die Gruppe löste sich in völligem Chaos auf. Gellende Schreie erfüllten die Nacht, während sie sich zu beiden Seiten den Damm hinabstürzten, nur weg von der offenen Fläche der Gleise. Mit einem Hechtsprung warf sich Wolfgang in das Hochwasser, tauchte panisch davon, weiter, immer weiter, bis seine Arme schmerzhaft gegen eine Mauer stießen.
Hastig tauchte er auf und sah sich um, doch es war nur eine Begrenzungsmauer zu einem Grundstück und bot keinerlei Deckung. Er erlitt einen halben Herzinfarkt, als direkt hinter ihm Maria ihren Kopf aus der Wasseroberfläche streckte und »Merda!« zischte, weil sie zum gleichen Schluss gekommen war wie er. Wolfganghätte gelacht, als hinter ihr Stefan erschien, mit dem gleichen erschrockenen Blick wie Maria und vermutlich genau den gleichen Gedanken, doch da bemerkte er den Dämon. Und er bemerkte, dass der Dämon
sie
bemerkt hatte.
»VORSICHT!«, brüllte er, dann sprang er über die Mauer und warf sich erneut in das Wasser. Über sich sah er Feuer über der Oberfläche tanzen, dann schlugen plötzlich Krallen durch das Wasser und fetzten durch seine Beine. Er schrie, als der Schmerz durch sein Bewusstsein zuckte, und tauchte auf, um frische Luft zu schnappen. Der Dämon hing direkt über ihm, der Luftzug seines trägen Flügelschlags sprühte ihm feines Spritzwasser ins Gesicht. Panisch kämpfte er darum, die Füße unter seinen Körper zu bekommen, so dass es ihm gerade noch gelang, zur Seite zu springen, als der Dämon erneut herabstieß. Das Wasser zischte und dampfte, wo das Monster es berührte, doch das nahm Wolfgang nur am Rande wahr. Noch einmal spuckte es Feuer nach ihm, noch einmal rettete ihn nur das Wasser.
Er rechnete mit dem Todesstoß, als er zwischen den Fingern plötzlich eine Schnur erspürte. Er packte sie, fühlte, dass sie stabil war, und zog sich daran so schnell wie er konnte am Boden entlang durch die Dunkelheit. Hinter ihm hörte er erneut das Platschen, als die Pranken des Dämons nach ihm suchten, doch da war Wolfgang schon mehrere Meter weiter. Er spürte Wäscheklammern unter seinen Händen und dankte den Göttern für diesen Zufall.
Schließlich führte die Leine nach oben aus dem Wasser. Er ließ los und tauchte weiter, bis er erneut gegen eine Wand stieß. Er streckte seinen Kopf aus dem Wasser, sah, dass der Dämon noch immer nach ihm fischte, und tauchte nach einem hastigen Luftzug schnell wieder unter.
Diese Mauer gehörte zu einem Gebäude, einem Einfamilienhaus, das die Flutwelle einigermaßen gut überstanden hatte. Unter Wasser folgte er der Wand weiter, bis er eine Ecke erreichte. Erst dort, wie er hoffte im toten Winkel, sah er sich erneut um.
Der Dämon hatte für den Moment offenbar die Suche nach Wolfgang aufgegeben. Stattdessen stampfte die Gestalt in Richtung eines gegenüberliegenden Gebäudes, wo gerade eine Gestalt versuchte, in ein Fenster im Erdgeschoss zu klettern. Flammenzungen leckten ihr entgegen und verbrannten sie zu einem schwarzen Rußfleck auf der hellen Häuserfassade.
Wolfgang wandte sich schaudernd ab und watete zu einem Riss in der dem Dämon abgewandten Häuserwand. Sein Bein schmerzte höllisch, doch er biss die Zähne zusammen und unterdrückte den Schrei, der auf seinen Lippen lag. Eilig zwängte er sich durch den Spalt und hoffte, dabei nicht beobachtet worden zu sein.
Drinnen war es dunkel, doch die Brände draußen reichten aus, um sich orientieren zu können. Er befand sich in einer kleinen Küche, über
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