Schattensturm
auf die Beine kämpfte und zurück zum Unterstand wankte. Sie versuchte, die Angst vor Derriens Wut zu verdrängen. Es gelang ihr nicht.
Als sie wieder in das Quartier kletterte, saß der Schattenfeind noch immer dort, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Er hatte inzwischen den Gegenstand aus der Tasche geholt. Es war ein großes, in schwarzes Leder gebundenes Buch, das nun aufgeschlagen auf seinem Schoß lag. Keelins Gesicht brannte vor Scham, als sie sich wieder zu ihm setzte. Es waren nicht nur ihre Worte – obwohl die schon schlimm genug gewesen waren –, für die sie sich schämte, sondern vor allem der Kontrollverlust, der sie mindestens ebenso überrascht hatte wie ihn. Sie hatte geglaubt, sich nach all ihren Erlebnissen mittlerweile besser beherrschen zu können.
Derrien klappte vorsichtig das Buch zu, während sie sich wieder setzte, und steckte es zurück in die Tasche. Dann reichte er es ihr. »Du musst das hier zu den Pikten bringen«, erklärte er, als ob sich zwischenzeitlich überhaupt nichts ereignet hätte.
»Warum ich?«, fragte sie schwach. Sie wusste, dass sie auch ohne seine Antwort ja sagen würde. Sie hatte sich selbst besiegt.
Doch Derrien überraschte sie mit einer ausführlichen Erklärung. »Weil ich meine Druiden brauche. Padern und Karanteq beobachten die Vorgänge in Bergen und kümmern sich darum, dass die Bergpforte offen bleibt. Orgetorix ist im Süden und sucht nach Rushais Armee. Murdoch ist verwundet. Ryan führt meine Waldläufer an. Ich selbst muss zurück nach Kêr Bagbeg und ein paar Dinge regeln. Ich nehme an, du hast von dem Überfall auf die Hauptstadt meines Stammes gehört?«
Keelin nickte.
»Im Gegensatz zu einigen anderen Druiden hier im Lager vertraue ich dir. Ich habe schon mit dir gearbeitet. Abgesehen davon bist du Schottin. Eine
echte
Schottin aus Schottland, nicht nur eine Nachfahrin. Vielleicht freust du dich darüber, deine Heimat wieder zu Gesicht zu bekommen.«
»Ihr schickt mich nach Schottland?«, fragte sie überrascht. »Was ist mit den Pikten in Chidhe na Muice-mara 1 ?«
»Denen traue ich nicht über den Weg.«
Keelin nickte. »Was ist das für ein Buch?«
»Ein Zauberbuch«, erwiderte Derrien, »voll von Runen und Klauenzeichen. In diesem Buch könnte alles stehen, Keelin, verstehst du? Alles. Inklusive der Frage, woher sie kommen und wie sie sich vermehren.«
Die Antwort auf die Frage aller Fragen
. Jetzt verstand sie auch, warum es ihm so wichtig war. Ohne die Antwort auf diese Frage konnten die Kelten niemals den Sieg gegen die Schatten erringen.
»Also gut«, meinte sie. »Ich bringe es zu den Pikten. Was soll ich ihnen sagen?«
»Wir brauchen eine Übersetzung, und zwar so schnell wie möglich. Beschreibe ihnen unsere Situation hier, dass wir Bergen wieder verloren haben und damit rechnen, dass die Schatten sich bald vermehren. Falls sie schnell eine Antwort finden, könnten wir vielleicht noch angreifen, bevor uns die Vorräte endgültig ausgehen und wir uns zurückziehen müssen.«
Keelin wurde schlecht, als sie sich
noch
eine Schlacht vorstellte. Sie hatte an der ersten nicht teilgenommen, aber sie war anschließend auf dem Schlachtfeld gewesen und hatte sich um die Verwundeten gekümmert. Die Erinnerung daran war ein Alptraum.
Sie nickte. »Ich werde mich so bald wie möglich auf den Weg machen.«
Ein Lächeln huschte über Derriens Lippen. »Gut, Keelin. Sieh zu, dass du eine Eskorte erhältst, die dich zur Pforte bringt. Der Weg dorthin ist nicht gerade der allerschönste.« Er griff in eine seiner Gürteltaschen und zog einen goldenen Ring hervor. »Hier. Man kann nie sicher genug sein.«
Keelin warf einen kurzen Blick darauf. Es war ein alter Ring, glattgescheuert auf der Innenseite, breit und groß. Dort, wonormalerweise ein Schmuckstein saß, wurde das Goldband breiter und trug eine Erhebung in Form einer germanischen Rune. Sie kannte diesen Ring bereits. Derrien hatte ihn ihr schon einmal anvertraut. Es war ein Zauber, der die Magie des Trägers verbarg. Wenn ein Rattenmensch oder Schatten versuchte, sie zu analysieren, würde er in ihr einen gewöhnlichen Menschen sehen, nicht einen Druiden. Sie wunderte sich oft darüber, ob der Rattenmensch sie damals in der Unterwelt verschont hätte, wenn sie den Ring nicht getragen hätte.
»Ich werde noch einen brauchen«, erklärte sie, nachdem sie ihn auf ihren Daumen gesteckt hatte.
»Brynndrech?«, fragte der Schattenfeind.
Keelin nickte. Kommentarlos zog Derrien einen
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