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Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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gequältem Gesicht aufzustehen. »Bleib sitzen«, wies sie ihn an, worauf er sich mit einem Ächzen zurücksinken ließ.
    Er war großgewachsen und muskulös, sein Gesicht bärtig wie das der meisten Männer. Sein linkes Auge war zugeschwollen und blau unterlaufen, auf der Stirn trug er einen blutverkrusteten gezackten Riss. Die Nase stand schief, dem Bluterguss an der Nasenwurzel nach zu urteilen ebenfalls eine frische Verletzung. Auch der Rest seines Gesichts war voller angetrocknetem Blut. Seinen Oberkörper zierten weitere Schrammen und blaue Flecken. An seiner rechten Hand fehlten Ring- und Kleinfinger, die einzige Verletzung, die alt zu sein schien. Er sah aus, als ob er unter eine Ochsenherde geraten wäre.
    »Ich bin Keelin Urquhart«, stellte sie sich vor, »und werde michum deine Wunden kümmern.« Noch vor ein paar Monaten hätte sie dabei schüchtern gestammelt, doch mittlerweile hatte sie sich an ihren Status gewöhnt. Trotz ihrer zweiundzwanzig Jahre stand sie im Rang weitaus höher als ihr etwa doppelt so alter Patient. »Hast du auch einen Namen?«
    »Habt Dank, Herrin.« Sein Akzent war stark. Ein Gallier oder möglicherweise ein Helvetier. Keelin hörte noch immer nicht den Unterschied heraus. »Mein Name ist Baturix – Baturix aus Allobroga.«
    Für einen Moment war Keelin überrascht. Der Mann war der Anführer der Garde des Feldherrn. Oder war es vermutlich gewesen – ein solcher Rang vertrug sich kaum mit einer Prügelstrafe. »Was hast du angestellt, um dir diese Striemen zu verdienen?«, fragte sie ihn. Währenddessen tauchte sie eines der Tücher in die Schüssel. Der Kamillenduft war stark, schaffte es aber nicht, den Kloakengeruch des Unterstandes zu überdecken.
    Baturix’ Miene wurde bitter. »Ich habe gestohlen.«
    Keelin hielt das Tuch über seinen Rücken und begann damit, Flüssigkeit auf seine Wunden zu träufeln. Er verzog das Gesicht, atmete zischend ein. »Zwanzig Hiebe«, meinte sie beiläufig, »ist viel für einen Diebstahl.«
    »Nicht für diesen«, erklärte Baturix. Er klang nicht so, als ob er noch weiter darüber sprechen wollte.
    Der Verwundetenunterstand war ein geschäftiger Ort, Leute kamen und gingen, doch Keelin beachtete sie gar nicht. Sie arbeitete schweigend und konzentriert. Zuerst säuberte sie die Wunden mit Kamillenextrakt, dann legte sie Verbände darüber und durchfeuchtete sie. Baturix hielt die Prozedur durch, ohne zu jammern oder zu schreien. Nur seine Miene machte deutlich, wann sein Schmerz besonders groß war. Keelin verzichtete dennoch darauf, ihre Magie für ihn einzusetzen: Wer zwanzig oder noch mehr Hiebe durchstand und immer noch so kräftig und aufrecht saß wie Baturix, würde auch diesen Schmerz überstehen. Und Keelin konnte ihre Kräfte nicht unbegrenzt einsetzen.
    Sie war gerade dabei, eine Binde um Baturix’ Brust zu wickeln, als hinter ihr jemand ihren Namen rief. Sie sah auf. Ein Mann mit einem schweren Umhang, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, trat aus dem Regen. Er trug gute, robuste Kleidung, das Schwert an seiner Hüfte sah teuer und wertvoll aus. Unter seinem Arm hing eine Tasche aus gewachstem Leinen, in der ein großer, kantiger Gegenstand steckte. Als er die Kapuze abstreifte, erkannte sie ihn. Es war der Anführer der Waldläufer, Derrien Schattenfeind. Er trug einen Dreitagebart und kurzes, braunes Haar, das kantige Gesicht war von einem Netzwerk dünner Narben gezeichnet.
    Als sein Blick auf Baturix fiel, verzog sich sein Gesicht zu einer hasserfüllten Fratze. »Baturix, du räudiger Hund«, stieß er aus. »Ich wusste ja, dass man dich Cintorix’ Köter nennt, aber dass du auch noch seine Scheiße frisst …!«
    Der Helvetier zuckte zusammen, als ob der Bretone ihn getreten hätte, und senkte den Blick. Seine Kaumuskeln wölbten sich vor, so fest presste er die Zähne aufeinander. Keelin blieb ebenfalls still. Am liebsten hätte sie Derrien in diesem Moment aus dem Unterstand geworfen, aber sie konnte nicht. Worte alleine würden nicht ausreichen, und körperlich war sie ihm zehnmal unterlegen. Und dafür einen Aufstand unter ihren Gefolgsleuten und den Druiden verursachen … Sie schüttelte den Kopf.
    »Aber weißt du, was mich glücklich macht?« Derrien war offenbar noch nicht fertig. »Er wird es dir nicht danken. Die Prügelstrafe war nur der Anfang. Er muss für alle klarmachen, dass er mit dem Diebstahl nichts zu tun hatte.« Dann erst verlor seine Stimme den Hass, als er sich zu ihr wandte. »Keelin, ich muss

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