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Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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gegen eine Ratte gekämpft«, erwähnte sie beiläufig. Sie erinnerte sich an die Begegnung, als wenn es gestern gewesen wäre. »In der Unterwelt Bergens.« Ihr Blick ging wieder ins Leere, als sie sich die Gestalt in Erinnerung rief. »Ein kleiner Mann mit mehreren goldenen Ringen im linken Ohr und einer schwarzen Lederjacke mit mehreren Buttons und Aufnähern …« Sie bemerkte, dass ihr Verstand schon wieder davongedriftet war und sie ihre Gedanken laut ausgesprochen hatte. Mit einem kurzen Kopfschütteln konzentrierte sie sich wieder auf ihre Arbeit.
    »Erinnerst du dich an die Buttons?«, wollte Murdoch zu ihrer Überraschung wissen.
    Keelin überlegte nur kurz. »Einen verkehrt herum angesteckten ›Peace‹-Button, einen rotweißen mit ›Sportsklubben Brann‹, einen mit einem schwarzen Pferd, einen mit ›Fuck you!‹, einen mit einem Totenschädel und einen mit dem Radioaktiv-Zeichen. Er hatte einen schwarzen ›Hearts of Pain‹-Aufnäher, einen ›Black Death‹ und einen ›Grey
…‹ «
Sie musste nachdenken. Was hatte auf dem grauen Aufnäher gestanden?
    »›Grey Settler‹«, spuckte Murdoch aus. »Ich fasse es nicht! Du bist dem gleichen Wichser begegnet wie ich!« Er schüttelte den Kopf. »Wie bist du entkommen?«
    »Er hat mich gehen lassen.«
    »Er hat
was
?« Wenn er sich aufregte, wurde seine Aussprache
richtig
ekelig.
    »Er hat mich gehen lassen. Er hat etwas davon gesagt, dass ich eine Frau bin, und mich dann gehen lassen.«
    Murdoch schüttelte nur fassungslos den Kopf.
    Als sie aufstand, bemerkte sie Scott, der hinter ihr gewartet hatte. »Was gibt es?«, fragte sie ihn.
    »Da sind zwei Neue für Euch, Herrin.«
    »Was genau?«
    »Einer hat sich gestern Abend bei einer Prügelei etwas am Handgelenk zugezogen. Der andere«, und hier wurde seine Stimme kalt, »wurde heute ausgepeitscht.«
    »Kümmere dich um das Handgelenk und bereite mir Verbände für den anderen vor. Einbeere und Weidenrinde, wie üblich.«
    »Jawohl, Herrin.«
    Keelin seufzte. Von Tag zu Tag wurden im Lager mehr Disziplinarstrafen verteilt, von Peitschen- oder Stockhieben bis hin zum Hängen für die schlimmen Fälle wie Desertion. Manchmal ertappte sie sich bei der beschämenden Hoffnung, sie würden
nur
noch hängen. Das würde den Heilern viel Arbeit ersparen. Müde ging sie zwischen den Bettenreihen nach hinten zum Heilerquartier, das nur durch ein paar aufgespannte Lederplanen vom restlichen Verwundetenunterstand abgetrennt war. Sie brauchte eine Minute für sich.
    Die Feldbetten im Quartier waren größtenteils leer. Ein paar Heiler hatten sich hingelegt und schliefen, und Keelin war überrascht, Angharad unter ihnen zu sehen. Sie hatte die Rohheilerin bisher noch
nie
schlafen sehen. Nun wirkte die grauhaarige, großgewachsene Frau wie eine Bewusstlose, ihr Schlaf war so tief und fest, dass ihr Atem kaum den Brustkorb hob.
    Für einen Moment spielte Keelin mit dem Gedanken, sich selbst hinzulegen, nur für ein paar Minuten. Kopfschüttelnd ging sie zu ihrem Rucksack. Wenn sie sich jetzt hinlegte, würde sie binnen Sekunden in Tiefschlaf fallen, und das konnte sie sich nicht leisten. Es gab viel zu viel zu tun. Außerdem hatte sie heute schon geschlafen. Sie kramte eine Tonflasche aus ihrem Rucksack hervor,entkorkte sie und stählte sich. Dann setzte sie an und nahm einen Schluck von der widerlichen öligen Flüssigkeit. Angeblich verschaffte Lebertran zusätzliche Energie und half dabei, wach zu bleiben. Sie glaubte nicht daran. Aber zumindest gab er ihr eine Ausrede, sich zwei Minuten von ihren Patienten zurückzuziehen. Nachdem sie einen Schluck Wasser nachgetrunken hatte, um den Geschmack aus ihrem Mund zu vertreiben, ging sie zurück zum Eingang des Unterstandes. Auf dem Weg dorthin begegnete sie Justus, dem Anführer der Heilerdruiden, der eine Schürze trug und gerade mit einem eitrigen Arm beschäftigt war. Sie nickten sich zu.
    Am Eingang saß ein großer Mann mit entblößtem Oberkörper auf einer Bank und starrte nach draußen in den Regen. Die Peitschenstriemen auf seinem Rücken waren zusammengeflossen zu einer einzigen großen Wundfläche. Es mussten mindestens zwanzig Hiebe gewesen sein, vermutete Keelin, die in den letzten Tagen eine zweifelhafte Kompetenz darin gewonnen hatte, so etwas zu schätzen. Shanley MacNevin stand bei ihm, den Arm voller Verbände, neben ihm eine dampfende Holzschüssel.
    »Danke«, murmelte sie zu Shanley. Als sie um den Verletzten herumging, versuchte dieser, mit

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