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Schattentänzer

Schattentänzer

Titel: Schattentänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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Diesem Vampir .
    Ein bleiches, blutleeres Gesicht, schmale bläuliche Lippen, kastanienbraunes Haar. Unter dem Umhang trug er ein grobes Hemd aus ungefärbter Wolle, um seinen Hals hing eine dicke Silberkette mit einem länglichen, rauchfarbenen Kristall, der wie ein großer Brillant oder eine Drachenträne in der Sonne funkelte. Er hielt eine Lanze in der Hand, deren Spitze zum Himmel aufragte.
    Ich blieb stehen und sah dem Grauen in die ausdruckslosen Augen. Wir schwiegen beide, wie lange, das vermag ich nicht zu sagen.
    Dann legte sich ein zarter rauchiger Schleier vor die Sonne, nur wenige Sekunden später hing der eben noch blaue Himmel voller grauer Wolken. Etwas Weißes und verschwindend Kleines segelte lautlos zwischen uns zu Boden.
    Eine Schneeflocke.
    Der ersten folgten weitere, auch sie fielen in tiefer Stille. Nicht einmal Wind ging. Die Welt war trübe geworden, die winterliche Dämmerung schien so schnell wie die Reiterei durch die Stadt gefegt zu sein und hatte sie in ihre Gewalt gebracht.
    »Du weißt, weshalb ich hier bin.« Er fragte nicht, er stellte lediglich fest.
    »Ich ahne es«, antwortete ich unwillig.
    »Das hättet ihr nie tun dürfen. Die Ketten, die die Gefallenen halten, können nun jederzeit reißen. Dann wird ein Beben die Welt erschüttern. Gib mir das Artefakt, bevor sich eine der Waagschalen senkt.«
    Mit diesem Krieger konnte ich mich nicht messen. Wenn ich mich widersetzte und ihm meinen Schatz nicht gab, würde mich die Lanze ohne viel Federlesens in zwei Hälften spalten – und der Graue das Horn des Regenbogens in aller Seelenruhe an sich nehmen. Dennoch war es beschämend, eine Niederlage hinzunehmen, als mich nur noch so wenig von der Erfüllung des Kontrakts trennte. Schweigend zog ich die Leinentasche von der Schulter und hielt sie dem Vampir hin.
    »Ist es da drin?«
    »Ja.«
    Er streckte die Hand aus und packte, was zum Ziel meines Lebens geworden war.
    Inzwischen waren die Schneeflocken einem wahren Schneesturm gewichen. Wind stob über den Platz. Der Schnee färbte das kastanienfarbene Haar des Vampirs weiß, aber er achtete gar nicht darauf. Den klaren Wintertag hatte tiefe Nacht abgelöst.
    Bei meinem nächsten Herzschlag leuchteten Sterne am nächtlichen Himmel auf. Sie rückten vom Horizont heran und stürzten auf den Platz. Fast alle landeten im Schnee, wo sie fauchend erloschen. Einer hätte mich allerdings fast am Bein getroffen.
    Dann sah ich, dass es kein Stern, sondern ein Pfeil mit roter und grüner Befiederung war. Der Graue hatte weniger Glück als ich, und gleich vier brennende Pfeile bohrten sich ihm in die Brust.
    Der Krieger schwankte, fiel auf die Knie, ließ aber weder die Lanze noch die Tasche mit dem Horn fallen. Der ersten Salve folgte eine zweite, noch stärkere. Diesmal erreichten die Pfeile den Platz jedoch nicht, sondern hagelten auf die Hausdächer um ihn herum.
    Dann ging die dritte Salve über Awendum hinweg: riesige Feuerkugeln, die mit einem Katapult abgeschossen wurden. Sie krachten in die Häuser. Ein gewaltiges Donnern folgte, Flammen schlugen hoch. Gerade noch rechtzeitig bemerkte ich, wie eine Feuerkugel auf den Platz fiel. So schnell ich konnte, rannte ich davon. In dieser Sekunde dachte ich weder an den Grauen noch an das Horn des Regenbogens.
    In meinem Rücken seufzte ein Riese, eine heiße Hand schubste mich von hinten – und da lernte ich allen Gesetzen der Natur zum Trotz das Fliegen. Ich flog … eine Sekunde … einen Augenblick … einen Herzschlag lang. Ich schwebte über dem Platz wie ein Adler, dann fiel ich in eine Schneewehe vor einer Hauswand. Nachdem ich mich hochgerappelt und den Schnee ausgespuckt hatte, sah ich mich verängstigt nach allen Seiten um.
    Der Platz hatte sich in eine Insel aus Schnee und Feuer verwandelt. Der Wind toste und trieb eine Herde aus Schneeflocken vor sich her ins Feuer, wo sie zu Tausenden starben. Trotzdem bleckten die Flammen weiter ihre Zungen.
    Der Graue kniete noch immer. Da erst begriff ich, dass seit der ersten Pfeilsalve nicht mehr als zehn Sekunden vergangen waren. Zwischen mir und dem Vampir tanzte das Feuer. Ich machte jedoch einen Weg aus, der von weißen Schneeinseln gebildet wurde. Jetzt oder nie! Ich schnappte mir die Armbrust, in der wie durch ein Wunder bereits zwei Bolzen lagen. Ich musste es wagen.
    Die Stille zerplatzte wie eine Seifenblase, in der Ferne erschallten Kriegshörner, um die Einwohner Awendums zu den Waffen zu rufen. Die Tempelglocken schlugen

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