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Schattentänzer

Schattentänzer

Titel: Schattentänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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bräuchte.
    Du gestattest? , bat Walder.
    »Nur zu«, antwortete ich, und der Erzmagier ließ Magie wirken.
    Nun sah ich ein ganz anderes Horn. Eine regenbogenfarbene Aureole umgab es. Die im Horn gespeicherte Kraft ließ sie nur noch schwach leuchten – und sie vermochte auch den Unaussprechlichen kaum noch in den Öden Landen zu bannen. Oder die Gefallenen in den Tiefen Hrad Spines zu halten. Die Oger hatten diese Kraft hervorgebracht – und dafür mit ihrem Tod bezahlt.
    Und jetzt schwand die Kraft, versickerte wie Wasser im Sand. Die Magie des Horns lag im Sterben.
    »Kannst du es mit frischer Magie aufladen?«, fragte ich Walder, ohne den Blick vom Horn zu wenden.
    Nein, dafür sind die Kräfte des Rats nötig. Tut mir leid.
    »Macht nichts«, log ich, denn ich hatte gehofft, Walder würde das schaffen und ich müsste ein derart gefährliches Stück nicht durch halb Siala schleppen. »Und kannst du jetzt … fortgehen?«
    Nein. Das Horn ist zu schwach. Vielleicht später, wenn es neu aufgeladen ist. Tut mir leid .
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Langsam finde ich Gefallen an deiner Gesellschaft. Es ist besser, als mit mir selbst zu sprechen.«
    Darauf erklang ein leises, kaum zu hörendes Lachen. Nimm es, Garrett , sagte Walder dann, und lass uns nach Hause gehen .
    Er hatte ja recht. Was sollte das Zaudern? Ich befeuchtete meine trockenen Lippen und trat mit dumpf hämmerndem Herzen an das Grab.
    Da war es. Die Rettung oder der Tod dieser Welt. Der Joker in den dummen Spielen der Herren. Was würde geschehen, wenn ich es aus Hrad Spine herausbrachte? Durfte ich das? Das Schicksal der Welt lag in meinen Händen. Was ich tat, könnte die Schalen an der Waage der Gerechtigkeit umkippen – und dann würde unsere Welt im Maul eines Ogers landen.
    Ich fühlte mich geradezu eingefroren, vermochte weder Arme noch Beine zu bewegen. Ich stand nur da und starrte auf das Horn des Regenbogens, das nun schwieg und bloß darauf wartete, dass der Mann an Groks Grab endlich seine Entscheidung traf.
    Bestimmt , hatte ich Egrassa auf seine Frage geantwortet, ob ich das Horn auch hole. »Bestimmt«, sagte ich jetzt, als sei es ein Zauberspruch. Dann trat ich, alles und jeden ins Dunkel verwünschend, vor und nahm das Horn vom Grab auf.
    Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war, dass der Himmel explodierte und zum zweiten Mal an diesem Tag weinte, zum zweiten Mal an diesem Tag sterbende Sterne regnen ließ.

Kapitel 12

    Der Falter
    Schlaf bedeutet immer Erleichterung, er gleicht einem Wasserfall, der alle Müdigkeit wegspült. Jeder braucht Schlaf. Zuweilen begleiten ihn freilich Albträume, die gern in der Nähe des Schlafes lauern. Sie bohren sich in das Bewusstsein des Schlafenden und saugen sich wie Zecken am Hirn fest.
    Jeder Albtraum hat ein Ziel. Der eine will erschrecken und sich an der Angst seines Opfers berauschen, der andere ist ein Echo des eigenen Gewissens, der dritte reißt alte Wunden auf, der vierte weckt Zweifel und Unentschlossenheit, der fünfte treibt einen in den Wahnsinn, verführt zum Selbstmord, der sechste …
    Mein Albtraum war hell. Blendend und funkelnd. Mein Albtraum war wie glitzernder Schnee.
    Dieser Schnee warf seine Decke über die menschenleeren Straßen Awendums und aalte sich in den zarten Strahlen der Dezembersonne. Er knirschte, Myriaden zarter Schneeflocken platzten unter meinen Stiefeln. Ich lief die leeren Straßen hinunter und lauschte dem Knirschen. Sonst vernahm ich kein einziges Geräusch. Entweder schlief die Stadt oder kauerte sich in der Hoffnung zusammen, die heraufziehende Gefahr möge sie übersehen.
    In der Inneren Stadt befand sich ebenfalls niemand, nicht einmal die Stadtwache, die sich so gern für ein paar Goldmünzen kaufen ließ. Der Schnee lag völlig unberührt, als sei seit Tagen niemand über ihn gestapft.
    Ich schlug mich in kleinere Gassen, brachte zwei Viertel hinter mich und erreichte schließlich einen Platz, der genauso verlassen war wie die Straßen. Majestätisch erhob sich dreihundert Yard vor mir der Turm des Ordens. Jetzt im Winter schien er aus einem einzigen Block hellblauen Eises gehauen, auch dies war einer der zahllosen Tricks des Ordens, mit dem dieser den Turm an die jeweilige Jahreszeit anpasste.
    Zwischen mir und dem Turm stand eine Figur in einem grauen Umhang. Als der Unbekannte die Kapuze zurückschob, erkannte ich ihn. Ich hatte schon früher einmal das Vergnügen gehabt, diesem Menschen zu begegnen.
    Diesem Menschen ? Nein!

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