Schattentänzer
Schulter. Von der würde er sich wahrscheinlich selbst dann nicht trennen, wenn sämtliche dunklen Elfen des Schwarzen Waldes über ihn herfielen.
Das Horn des Regenbogens und der Schlüssel in den Händen der Orks! Wenn nur Egrassa nichts davon erfährt! Das würde er nicht überleben!
Da mich die Orks überhaupt nicht zu beachten schienen, wagte ich einen Fluchtversuch. Lieber wollte ich mit gefesselten Händen durch Sagraba irren, als in der Gesellschaft der Ersten bleiben. Natürlich musste ich für dieses dumme Ansinnen teuer bezahlen. Fagred fing mich wieder ein, als ich noch keine sechs Yard gelaufen war, warf mich zu Boden und rammte mir die Faust in den Nacken. Vor meinen Augen gingen prompt fünf Monde auf – dann verlor ich das Bewusstsein.
»Was kümmerst du dich um ihn? Wir krepieren doch ohnehin alle!«
»Das ist meine Sache. Gib ihm lieber etwas Wasser, Mensch.«
»Hast du sonst noch Wünsche, Grünling. Die Ersten haben ihm keine Ration zugeteilt!«
»Gib ihm Wasser, Kior!«
» Gib ihm Wasser, Kior! Gib ihm Wasser, Kior! Lass dir mal was Neues einfallen! Hier, Grünling!«
Mir spritzte etwas unglaublich Angenehmes und Kaltes auf die Stirn, was mich sogar veranlasste, die Augen zu öffnen.
»Wünsche, wohl geruht zu haben!«
Verwundert starrte ich den Sprecher an. Ich musste noch schlafen und träumen. Oder doch nicht?
»Kli-Kli?«, krächzte ich und versuchte, mich aufzusetzen.
Das hätte ich besser nicht getan. Erde und Bäume drehten sich, und ich sank stöhnend auf die Tannenzweige zurück.
»Falsch geraten, Freundchen!«, gickelte der Kobold und nahm den feuchten Lappen von meiner Stirn.
Aber jetzt sah ich auch selbst, dass es nicht Kli-Kli war. Der Kobold war viel älter als der königliche Hofnarr. Seine Haut war von mattem Hellgrün, die Nase scharf gebogen, die Hälfte der Zähne fehlte, die Augen waren nicht himmelblau, sondern violett und wurden von buschigen Brauen verschattet. Die ganze Kobolderscheinung erinnerte an einen eingeschrumpelten, kleinen grünen Affen.
»Ich …«
»Du hast die Riesendummheit begangen, einen Fluchtversuch zu wagen. Ehrlich gesagt, ich komme gar nicht aus dem Staunen heraus, dass dich dieses Ungetüm nicht auf der Stelle getötet hat! Wie fühlst du dich?«
»Mein Kopf dröhnt«, antwortete ich und machte einen zweiten Versuch aufzustehen. Diesmal drehte sich die Erde nicht.
»Dein Kopf gibt bald Ruhe«, versicherte jemand von der Seite. »Wenn er nämlich nicht mehr auf deinem Hals sitzt.«
Ich linste vorsichtig zu dem Mann hinüber. Es war ein riesiger Kerl mit einem dichten schwarzen Bart, dessen Ansatz unmittelbar unter den Augen begann. Er sah mich herausfordernd an.
»Das ist Kior«, erklärte mir der Kobold, und in seiner Stimme schwang nicht die geringste Zuneigung für dieses zottlige Wunder der Natur mit. »Und das ist Mys.«
Neben Kior saß ein ausgemergelter Mann von Mitte vierzig. Ein Glatzkopf mit braunen Augen und einem Schnurrbart. Sein rechter Oberarm war verbunden.
»Herzlich willkommen in unserer unglückseligen Gemeinschaft, mein Freund«, begrüßte mich Mys.
»Bist du ein Soldat?«, fragte ich ihn, nachdem ich es fertiggebracht hatte, ihm zur Begrüßung freundlich zuzunicken.
»Hmm«, antwortete er und schloss die Augen.
Hatte ich mich also nicht getäuscht. Aber wie kam ein Soldat des Grenzkönigreichs in diese Gefilde?
»Hast du einen Namen?«, fragte mich der Kobold.
»Garrett.«
»Ich bin Glo-Glo«, stellte er sich vor. »Freut mich, dich kennenzulernen.«
Obwohl der Morgen bereits heraufgezogen war, war es nicht sonderlich hell, denn der Himmel hing voller Wolken. Sicher würde es bald regnen. Das Lagerfeuer brannte kaum noch, die meisten Orks schliefen. Nur die Wachtposten am Rand der Lichtung versahen ihren Dienst. War ich etwa die ganze Nacht ohnmächtig gewesen?! Fagred musste ganz schön zugelangt haben! In meinem Nacken pulste ein dumpfer Schmerz. Ich legte die linke Hand auf die Stelle – und nun erst fiel mir auf, dass meine Hände nicht mehr gefesselt waren.
»Darauf können sie gut verzichten«, bemerkte der Kobold, der meine Gedanken gelesen zu haben schien. »Du spielst doch wohl nicht mit dem Gedanken, einen weiteren Fluchtversuch zu unternehmen, oder? Sieh dir den mal an!«
Ich spähte in die Richtung, in die der Kobold gezeigt hatte. Am Ast eines Baumes in der Nähe schaukelte sanft ein Mensch, an den Füßen aufgehängt.
»Das ist einer von Kiors Männern«, erklärte mir Glo-Glo.
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