Schattentänzer
gerissen. Die Prinzessin aus dem Hause des Schwarzen Mondes hatte all ihre Kraft für diesen Zauber gegeben, ohne dabei an ihr eigenes Leben zu denken.
Als sich die magische Flamme des Scheiterhaufens in einen wilden, schreienden Drachen verwandelte, der den Mond und die Sterne zu verschlingen drohte, und die Flammenzungen über Miralissa herfielen, da stimmte Egrassa jenes Lied an, das Elfen für ihre toten Gefährten singen. Mochte das Feuer auch noch so grimmig heulen, der Gesang des Elfen übertönte es. Der Widerschein der Flammen tanzte auf den Gesichtern der Wilden Herzen, die schweigend vor dem tobenden Feuer standen. Hallas und Deler schienen Brüder zu sein, die finster dreinblickten. Alistan Markhouse biss die Zähne fest aufeinander und ballte die Fäuste. Aal wirkte so undurchdringlich wie immer, in seinen Zügen spiegelte sich keine einzige Regung. Nur in seine Augen schlich sich Müdigkeit. Lämpler stützte sich auf seinen Birgrisen und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Scheiterhaufen. Kli-Kli weinte gottserbärmlich und verteilte die Tränen über beide Wangen. Und ich? Wahrscheinlich fühlte ich mich sehr leer und sehr müde.
»Hör auf zu heulen, Kli-Kli«, sagte Egrassa, nachdem er sein Lied beendet hatte.
»Ich heule gar nicht«, schniefte der Kobold und versuchte, seine Tränen vor uns zu verbergen.
»Wie würdest du es dann nennen?«
»Wenn ich sage, ich heule nicht, dann heißt das, ich heule nicht!«
»Sie hat gewusst, was sie tut. Tröste dich damit, dass wir alle tot wären, wenn Miralissa die Mauer nicht so lange aufrechterhalten hätte.«
»Aber …«
»Sie hat sich als dem Hause des Schwarzen Mondes würdig erwiesen und alles getan, damit wir die Aufgabe, die uns hierher gebracht hat, vollenden können. Wir Elfen betrachten den Tod mit anderen Augen. Sie ist nicht umsonst gestorben.«
Der Kobold nickte und schnäuzte sich in sein riesiges Taschentuch.
Wir sammelten die Sachen ein, die wir fortgeworfen hatten, und setzten unseren Weg fort, als vom Scheiterhaufen nur noch verkohlte Holzstücke übrig waren.
Bis zur Morgendämmerung blieben nicht mehr als zwei Stunden. Egrassa führte uns weiter, ohne auf unsere Müdigkeit Rücksicht zu nehmen. Mir wollte einfach nicht in den Kopf, dass wir Miralissa verloren hatten. Jeden anderen ja. Aber nicht sie. Aus irgendeinem Grund war ich mir sicher gewesen, sie würde bis zum Ende bei uns bleiben. Doch wie heißt es so schön: Die Menschen denken, die Götter lenken. Die Elfin mit dem aschgrauen Haar, dem angedeuteten höflichen Lächeln auf den rabenschwarzen Lippen und den rätselhaften gelben Augen war für immer von uns gegangen, hatte sich im Feuer aufgelöst.
Nun blieben nur Egrassa und Kli-Kli, die den Weg nach Hrad Spine kannten. Ohne sie würden wir uns hoffnungslos in den Wäldern verirren und an den Beinernen Palästen vorbeilaufen, selbst wenn sie bloß hundert Yard entfernt lagen. Obendrein bedeutete Miralissas Tod, dass wir unseren magischen Schutz eingebüßt hatten. Gewiss, Egrassa verstand auch etwas von Magie, doch sein Wissen beschränkte sich auf oberflächliche Kenntnisse, über die jeder dunkle Elf aus einer Herrscherfamilie verfügte. Na, und Kli-Kli, diesem gescheiterten Schüler eines schamanischen Großvaters, vertrauten wir besser nicht, andernfalls würden wir uns womöglich noch ein paar verkohlte Füße einfangen. Immerhin hätte uns der Kobold schon einmal beinah auf eine Reise zu den Göttern geschickt. Ich persönlich hatte deshalb nicht die Absicht, weitere Risiken einzugehen.
Kaum war der Scheiterhaufen niedergebrannt, da hatte der Kobold aus dem Körper des tranchierten H’san’kor seine Wurfmesser gezogen und dem abgehackten Kopf noch einen wütenden Tritt gegeben. Nun stapfte Kli-Kli vor mir her und schniefte noch immer.
»Was ist, Kli-Kli?«, fragte ich ihn voller Anteilnahme.
»Nichts«, brummte er nur und wischte sich verstohlen die Tränen fort. »Wirklich nicht.«
»Mir geht es auch nahe, dass sie gestorben ist.«
»Warum musste das geschehen, Garrett?«
»Ich weiß nicht, Amigo. Es ist alles der Wille der Götter.«
»Der Götter? Diese Bande gibt es in Siala doch nur, weil es irgendeinem Schattentänzer gefallen hat, solche Kreaturen in der von ihm geschaffenen Welt anzusiedeln!« Er seufzte. »Aber gut, reden wir nicht mehr davon.«
Schattentänzer! Das war mein Fluch. Wollte ich dem Kobold glauben, so war ich nämlich ebenfalls ein Schattentänzer. Zumindest stand es
Weitere Kostenlose Bücher