Schattentänzer
Entweder kehrte ich um, oder ich durchquerte die Festung.
Weder am Tor noch in dem schmalen Gang mit den Schießscharten (eine Freude für alle ungebetenen Gäste) erlebte ich eine unangenehme Überraschung. Wenigstens etwas. Allerdings knirschten unter meinen Füßen jetzt keine Kiesel mehr, sondern alte Knochen. Auch die Elfen waren damals in diesem Gang gar warmherzig empfangen worden. Ich nahm in ihm den Geruch der alten, feuchten Holzdecke und das bittere Aroma von Mandeln wahr, eine, gelinde gesagt, befremdliche Mischung.
Schließlich erreichte ich den Innenhof. Vor mir erhob sich wie eine rote Säule der Mittelturm. Der Hof war mit Kieseln ausgestreut, genauso wie der Pfad vor dem Tor.
Bei dem Kampf waren keine halben Sachen gemacht worden. Die Skelette von Orks und Elfen lagen zuweilen in völlig unvorstellbaren Stellungen verklammert. Unter den Knochen lugten S’kaschs und Yatagane mit ihren rostigen, halbmondartigen Schneiden hervor. Der Boden, die Mauern und die Knochen waren allenthalben mit Ruß überzogen oder verbrannt. Im westlichen Teil des Hofes türmten sich rötliche Felsbrocken und Steine des zerstörten Turms. Neben Schwertern und Pfeilen war auch Magie zum Einsatz gekommen.
Obwohl viele, ja, sehr viele Elfen gestorben waren, konnte kein Zweifel daran bestehen, wer als Sieger aus dieser Schlacht hervorgegangen war: Zehn Yard über dem Boden waren die Körper von acht Orks in den Mittelturm eingeschmolzen worden. Und nachdem die Schamanen und Magier der Elfen dieses Werk vollbracht hatten, dürften die Orks noch lange gelitten haben. Selbst nach all den Jahren schien die Zeit den Toten nichts angehabt zu haben, und ich hatte den Eindruck, sie seien erst vor wenigen Minuten gestorben.
Ihr Fleisch war nicht wie das Wachs einer Kerze geschmolzen, nicht wie Fleisch in der Sonne verfault und nicht verschrumpelt wie eine Pflaume aus fernen Landen. Seit ich die Soldaten Algert Dallys kennengelernt hatte und nach dem Kampf in Wegscheide wusste ich ein wenig von den Emblemen der einzelnen Orkklane. Die Verteidiger der Burg trugen Abzeichen, deren schwarze und weiße Farben sich noch gut erkennen ließen, so verblasst sie auch sein mochten. Von einem solchen Klan hatte ich noch nie zuvor gehört. Ich würde Egrassa danach fragen – wenn ich Hrad Spine wieder verlassen hatte.
Vor dem Turm stand ein alter Baum. Er erinnerte irgendwie an einen Zwerg, der nach einem langen Marsch ein Nickerchen macht: stämmig, kräftig und gedrungen. Er war genauso alt wie die rote Burg, die die Knochen der gefallenen Soldaten jetzt aufbewahrte. Doch im Unterschied zu der längst verfallenen Festung lebte der Baum noch. All seine Zweige trugen kleine weiße Blüten, sodass es schien, als wäre eine Schneedecke über ihn gebreitet.
Diese Blüten waren es, die nach Mandel dufteten. Ihr bitteres Aroma schmeckte ich sogar im Mund. Da mir der Geruch bereits Kopfschmerzen verursachte, setzte ich meinen Weg raschen Schrittes fort. Ich sollte mich hier ohnehin nicht länger aufhalten als unbedingt nötig.
Dabei gab ich mir alle Mühe, nicht auf die Skelette zu treten – dabei einem kindlichen Aberglauben folgend, dass auch in Knochen noch Leben fließe und man die Gebeine von Elfen und Orks besser nicht aufstörte. Trotzdem gelang es mir nicht immer, den Knochen in den verrosteten Harnischen auszuweichen, dazu waren es einfach zu viele. Gerade trat ich wieder auf einen Schädel.
Der gab mit einem schmatzenden Geräusch nach, als sei kein Knochen, sondern eine überreife Melone aus Garrak geplatzt. Ich erschauderte angeekelt, löste meinen Blick kurz vom Boden und richtete ihn auf den Baum.
Mein Herz machte einen schwindelerregenden Salto, schoss hoch zum Himmel hinauf und stürzte wieder ab – und zwar geradewegs in meine Eingeweide.
Die Blüten des Baumes waren nicht mehr weiß, sondern rot! Blutrot! Das Blut sammelte sich in riesigen Tropfen an den Blütenblättern, die dann den Baumstamm hinunterrannen und Knochen wie Sand netzten. Binnen weniger Sekunden hatte sich unter dem Baum ein kleiner Teich gebildet, der rasch anschwoll und wie ein Raubtier über die Knochen herfiel.
Ein markerschütternder Schrei durchriss die Stille und ließ mich zusammenkauern. Ich spähte nach oben und erwartete einen Greifen, einen Drachen, einen Mantikor, eine Harpyie, den Sendboten des Herrn, den Unaussprechlichen, die Götter oder sonst wen zu sehen, der zum Angriff auf mein Leben blies.
Stattdessen schrie einer der Orks, deren
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