Schattentänzer
ich gesagt hatte. Ihr Staunen wuchs. Sie wollte aufstehen, sank aber auf den Stuhl zurück und schüttelte sich apart.
»Meine Freundin heißt Tinnie Täte. Sie hat nie jemandem etwas zuleide getan. Sie hat ähnliches Haar wie Sie und ungefähr dieselbe Statur. Sie ist etwas weniger gerundet, hier und da, soweit ich das von hier beurteilen kann, aber der Unterschied ist nicht so groß, daß man es sofort erkennen würde. Sie wollte zur mir, als so ein Mistkerl sie niedergestochen hat. Völlig grundlos … dachte ich jedenfalls, bis ich Sie gesehen habe.«
Sie atmete schwer. »Ich muß hier weg. Er weiß es. Ich muß verschwinden.«
»Sie gehen nirgendwo hin, Süße. Nicht, bis ich weiß, was hier vorgeht.«
Sie saß einfach nur verdattert da und heizte das Zimmer weiter auf. Ich dachte schon daran, den alten Dean zu bitten, einen Eimer Wasser über sie auszuleeren, aber das wäre sinnlos. Es würde dampfen, und die Tapeten würden sich von der Wand kräuseln.
»Daß Tinnie verletzt wurde, hat mich ziemlich sauer gemacht. Und einige andere Leute auch. Üble Leute. Üble reiche Leute. Ihre Leute. Sie dürsten nach Blut. Sie wirken auf mich wie ein Mädchen, das auf sich selbst aufpassen kann. Ich nehme an, es liegt ihnen nichts daran, zwischen die Fronten all dieser Leute zu geraten.«
Ihr hübsches Gesicht zeigte Verwirrung.
Wollte ich ihr angst machen? Und ob ich das wollte. Sie sagte nur: »Oh«, als wäre es nicht besonders wichtig.
»Ich nehme an, daß der Kerl, der Tinnie niedergestochen hat, eigentlich Sie meinte.« Klar, ich klopfte auf den Busch. Wenn man keinen Köder auswirft, beißt auch niemand an. »Das ist die einzige Erklärung, die einigermaßen Sinn ergibt. Er hat sie mit jemandem verwechselt. Also sollten wir langsam zur Sache kommen.« Ich stand auf und ging um den Schreibtisch herum.
»Ich habe einen Fehler gemacht, als ich hergekommen bin.« Sie wollte aufstehen.
Ich drückte sie wieder auf den Stuhl zurück. »Sie haben einen Fehler gemacht, als Sie jemandem erzählt haben, daß Sie hierher kommen wollten. Das hat jemandem Kopfzerbrechen bereitet. Er hat versucht, meine Lady kaltzumachen. Und ihr Blut vergossen. Deshalb ist meine Laune etwas getrübt.«
Eigentlich war ich richtig freundlich. Der Tote Mann war im Zimmer gegenüber. Ich brauchte nichts weiter zu tun, als sie aufzuregen, damit der alte Knochen alles Interessante aus ihren Gedanken herausfischen konnte.
Sie versuchte wieder, aufzustehen. Ich drückte sie mit etwas mehr Kraft zurück. Sie wirkte eher verärgert als verängstigt. Das paßte irgendwie nicht zusammen.
»Die Geschichte, Lady. Fangen wir doch einfach mit Ihrem Namen an.«
Sie blickte auf ihre Hände. Es waren mächtig feine Hände.
»Mein Name ist Carla Lindo Ramada. Ich bin Zimmermädchen im Haushalt von Lord Baron Cleon Steinziffer.«
»Nie von ihm gehört.« Aber sahen alle seine Angestellten so aus, würde ich mir ernsthaft überlegen, umzuziehen. »Ich nehme an, er lebt nicht hier in der Stadt. Was ist mit diesem Baron?«
»Er ist sozusagen nur eine Randfigur der Geschichte. Er ist zweihundert Jahre alt, bettlägerig und dem Tode nah. Aber er ist verflucht. Deshalb kann er nicht sterben. Er wird einfach nur immer älter. Doch das ist nicht wichtig. Die Hexe ist wichtig. Sie hat ihn mit dem Fluch belegt. Man nennt sie die ›Schlange‹. Sie lebt auch im Schloß, aber niemand außer ihren Handlangern hat sie jemals zu Gesicht bekommen. Deshalb weiß kein anderer, wie sie aussieht. Alles, was wir wissen, ist, daß sie den Fluch erst dann von dem Baron nimmt, wenn er sie zu seiner Erbin macht.«
»Wie bitte?«
»Sie will das Schloß. Es steht einsam in den Hamadan-Bergen, nahe der Grenze zwischen Karenta und Therpra.
Beide Königreiche beanspruchen das Gebiet, aber keins hat wirklich die Kontrolle darüber. Die Schlange will das Schloß, weil es uneinnehmbar ist.«
Konnte Miss Ramada nur halb so langsam sein, wie sie klang? Ich warf Eleanor einen Seitenblick zu. Sie gab mir auch keine Antwort. Was soll’s? Dann war sie eben kein Genie, na und? Sie mußte ja nie ihren Kopf benutzen. In unserer Welt müssen Frauen, die so aussehen, niemals für irgend etwas arbeiten. Die einzige Lektion, die sie lernen müssen, ist die, wann es sich lohnt, mit dem Hintern zu wackeln.
»Zur Sache, Schätzchen. Was machen Sie hier? Ich will wissen, warum Tinnie niedergestochen worden ist. Wir können von mir aus auch die Schöpfungsgeschichte noch mal durchkauen, wenn
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