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Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Wollen wir wetten?«, fragt Mara.
    »Schwarz! Der Himmel war schwarz!«, rufe ich.
    »Und der Löwe, der am Waldrand liegt, rekelt und rekelt sich in der Sonne und hört nicht auf, sich wohlzufühlen«, sagt Mara, ihre Stimme klingt anders, leise und irgendwie erleichtert, als sei etwas zu Ende gegangen, das ihr Schmerzen bereitet hat.
    Und der Löwe läuft federnd und guter Dinge tiefer in den Wald hinein. Zielstrebig, er scheint genau zu wissen, was er will, sein Schritt ist leicht und sein Gesichtsausdruck immer gleich, der Löwe lächelt und läuft im Schatten saftig grüner Bäume, und ab und zu bricht die Sonne durch. Der Himmel ist blau.
    Nach einer Weile begegnet der Löwe einer Schlange, die von einem Baum herunterhängt und ihn mit ihrer langen Zunge in den Ohren kitzelt. Seine Reise sei hier zu Ende, zischelt sie, es sei denn, der Löwe erfülle seine dritte Aufgabe.
    »Und die wäre?«, fragt der Löwe.
    »Spiel mir ein Lied!«, sagt die Schlange, und aus dem Dickicht ihres Baumes fällt dem Löwen ein Klavier in die Pfoten, und die Schlange ruft: »Spiel mir das schönste Lied, das je in diesem Wald erklungen ist!«, und sie leckt seine Ohren, und der Löwe schlägt mit seinen Tatzen auf die Tasten ein, und es ist ein Höllenlärm, bis die Schlange irgendwann einmal kräftig in sein Maul spuckt und den Moment, in dem er runterschluckt, nutzt, um zu zischen, es sei schön gewesen, sie habe lange nicht einen so netten Löwen getroffen. »Allzeit gute Reise!«, sagt sie noch, bevor sie ins Dickicht taucht, und der Löwe läuft federnd und guter Dinge tiefer in den Wald hinein.
    Es ist einfach, aber nicht zu beantworten. Dem Sommer folgt der Herbst, die Blätter färben sich rot und gelb, es wird kälter. Sandra und Olli rennen im Garten herum. Vera, mein Kompagnon, seine Frau Klarissa und ich sitzen in unserem Wohnzimmer und sehen durch die Scheiben Sandra und Olli beim Herumrennen zu.
    »Die Welt ist in Ordnung«, werfe ich in die Runde.
    »Was?«, fragt Vera.
    »Hm?«, fragt mein Kompagnon.
    Später, vor dem Schlafengehen, wird Vera mich noch einmal fragen, was ich damit gemeint habe. Ich werde wahrheitsgemäß antworten: keine Ahnung.
    Sandra und Olli rennen im Garten herum, die Blätter sind rot und gelb, der Rasen ist feucht, die Abenddämmerung ist türkisblau. Es ist wie damals, als ich mit einem Freund in einem Garten Fußball gespielt habe und er mir von dem Unfall unseres Mitschülers erzählte. Unser Mitschüler war in eine Schlucht gestürzt, saß im Rollstuhl und war nicht mehr richtig im Kopf.
    Es ist nicht derselbe Garten, es liegen viele Jahre dazwischen. Es sind Sandra und Olli und nicht mein Freund und ich, sie reden nicht über einen Mitschüler, der einen Unfall hatte, sie reden eigentlich gar nicht, sondern rennen die ganze Zeit mit verbissenen Gesichtern einem Ball hinterher, einem Fußball, den Olli mitgebracht hat. Der Fußball sieht aber genauso aus wie der, den ich damals auf meinem Finger balanciert habe, als mein Freund vom Unfall unseres Mitschülers erzählte. Der Ball ist schwarz und weiß kariert.
    Sandra und Olli rennen im Garten herum, die Blätter sind rot und gelb, der Rasen ist feucht, die Abenddämmerung ist türkisblau, und ich betrachte Veras Gesicht, die Art, wie sie spricht, während sie in ein Gespräch mit meinem Kompagnon und seiner Frau Klarissa vertieft ist.
    Würde Vera jetzt den Blick in meine Richtung wenden, würde ich ihr ausweichen. Für einen Moment, als Vera meinem Kompagnon freundschaftlich einen Klaps auf die Hand gibt, sehe ich sie wie eine Fremde, und ich denke, dass Vera eine wunderschöne Frau ist.
    Sandra und Olli rennen im Garten herum, die Blätter sind rot und gelb, der Rasen ist feucht, die Abenddämmerung ist türkisblau und senkt sich schnell hinab, sodass, während Vera das Essen aufträgt, die roten und gelben Blätter sowie Sandra, Olli und der Fußball an Farbe verlieren und schließlich gar nicht mehr zu erkennen sind.
    Mein Freund und Kompagnon lobt Veras Essen, wir trinken roten Wein und stoßen auf den Auftrag eines Stromanbieters an, den wir fast sicher und offen gestanden dringend nötig haben. Ich trinke schnell und schenke nach.
    Sandra und Olli rennen vermutlich noch im Garten herum, ich trinke, in meinem Körper macht sich in Schüben warmer Schwindel breit, und in meinen Gedanken kristallisiert sich ein Bild heraus, das mir Angst macht und mich in Erstaunen versetzt: Ich stelle mir vor, dass ich aufstehe, die Terrassentür

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