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Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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goldenen Sternen und roten Kerzen geschmückt ist. Draußen ist es noch weißer als gestern.
    Vera ruft etwas aus der Küche, ich verstehe nicht, was.
    »Was?!«, rufe ich.
    »Na, weil es so schneit!«, ruft Vera.
    »Ich verstehe kein Wort«, sage ich, als ich neben Vera in der Küche stehe.
    »Ich sagte: Hoffentlich kommen deine Eltern gut durch bei dem Schneefall.«
    »Ach so.«
    »Was, ach so?«
    »Na, das wird schon klappen.«
    »Probier mal«, sagt Vera und führt einen Löffel an meinen Mund. »Vorsicht, kalt.«
    »Mhm, lecker«, sage ich.
    »Zitronenparfait«, sagt Vera. »Das isst deine Mutter doch so gerne.«
    »Sehr lecker«, sage ich. »Wann soll ich eigentlich Judith abholen?«
    »Ich rufe noch mal bei ihr an. Gegen vier? Um fünf beginnt die Kirche.«
    »Alles klar.«
    »Bist du mit dem Baum schon fertig?«
    »Ja. Sieht ganz gut aus.«
    Vera nimmt mich an der Hand, ich folge ihr ins Wohnzimmer. »Der schönste, den wir je hatten, wie jedes Jahr«, sagt sie und lächelt. Ich erwidere ihr Lächeln.
    Vera kehrt in die Küche zurück, und ich gehe in den Keller hinunter, um die Geschenke zu holen. Während ich die Pakete aus einer Nische meines Arbeitszimmers ziehe, frage ich mich wie jedes Jahr, ob Sandra nach ihnen gesucht hat. Ob sie sie gefunden und vorsichtig geöffnet hat. Ob sie uns ihre Überraschung nachher nur vorspielen wird.
    Draußen winkt mir Nachbar Mikelsen zu. Er schippt seinen Bürgersteig frei, und ich fahre zum Altenwohnheim, um Judith abzuholen. Veras Mutter Judith lebt seit drei Jahren in diesem Heim, Vera besucht sie häufig, ab und zu gehe ich mit und habe immer den Eindruck, dass Judith mit ihrem Leben zufrieden ist. Ich finde keine Einschränkung in ihrem Lächeln, und ihr Lächeln ist vollkommen identisch mit dem Veras. Einmal, vor einigen Jahren, habe ich vor dem Spiegel gestanden und versucht, so uneingeschränkt zu lächeln wie Vera und ihre Mutter.
    »Da bist du ja«, sagt Judith lächelnd, als ich in der Tür ihres Zimmers stehe. Sie trägt ein dunkelblaues Kostüm, das nicht in den Augen sticht.
    »Magst du noch was trinken?«, fragt sie, wie auch in den Jahren zuvor.
    »Nein, danke.«
    »Dann lass uns gehen.«
    Während wir durch das Schneegestöber zu meinem Wagen laufen, frage ich mich, wie lange Judith schon in dem blauen Kostüm auf dem Bett gesessen hat.
    »Schön, dass es schneit«, sagt Judith.
    »Das stimmt«, sage ich.
    Wir fahren an einem Unfall vorbei. Wir recken die Hälse und sehen durch die beschlagene Scheibe zwei Männer, die heftig diskutieren. Die beiden Autos scheinen nur leicht beschädigt zu sein. Ein Auffahrunfall.
    »Scheint nicht viel passiert zu sein«, sage ich.
    »Gott sei Dank«, sagt Judith.
    Mara atmet wohlig und verschwenderisch ihr Glück aus und wird bald einschlafen und gut träumen.
    Hinter der Glasscheibe schneit es in dicken Flocken. Wir sitzen im Wohnzimmer und trinken Tee. Vera sitzt auf dem Sofa neben ihrer Mutter, ich im Sessel. Sandra ist in ihrem Zimmer und sieht vermutlich fern, sie darf das festlich geschmückte Wohnzimmer erst sehen, wenn am Abend die Kirche vorbei ist und die Bescherung beginnt.
    Ich höre von fern die Stimmen von Judith und Vera und habe für eine Weile das Gefühl, dass im Schneetreiben manches verweht wird, was ich ohnehin längst vergessen wollte. Draußen fährt ein Wagen in unsere Einfahrt, ich höre das Dröhnen des Motors. Ich stehe auf und gehe durch den Flur, um meinen Eltern die Tür zu öffnen. Sie müssen von der Einfahrt bis zur Haustür nur ein paar Schritte laufen, aber als sie fröstelnd vor mir stehen, sind ihre Mäntel bereits von Schnee bedeckt.
    »Frohe Weihnachten, Junge«, sagt mein Vater, während meine Mutter mich schon fest an sich drückt.
    »Wie war die Fahrt?«, frage ich.
    »Sauwetter, aber alles gut, bis auf die Baustelle vor der letzten Ausfahrt«, sagt mein Vater. »Wie lange wollen die da eigentlich noch bauen?«
    Ich zucke die Achseln und sage: »Schön, dass ihr da seid.«
    »Da seid ihr ja«, sagt Vera hinter mir. »Seid ihr gut durchgekommen?«
    »Keine Klagen. Nur die Baustelle vor der Abfahrt. Wie lange wollen die da noch bauen?«, fragt mein Vater, meine Mutter umarmt erst Vera, dann Judith, die auf der Schwelle zwischen Wohnzimmer und Flur steht. Ich nehme die Jacken und hänge sie auf.
    »Kann ich dir in der Küche helfen?«, fragt meine Mutter.
    »Alles so gut wie fertig«, sagt Vera.
    »Wo ist Sandra?«
    »In ihrem Zimmer. Sie wird euch nicht gehört haben.«
    »Ach,

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