Schattentag: Kriminalroman (German Edition)
nassen Sand an meinen Fingern, und Mara sagt, dass sie mir etwas zeigen möchte. Sie zwängt mich durch eine Drehtür, ich bin außer Atem, und Mara zerrt mich über eine Treppe, mein Bein schlägt gegen die Stufen. Mara reißt mich nach oben, wenn ich strauchele.
»Jetzt komm schon, es fängt gleich an!«, sagt sie.
Dann stehen wir im Freien, in der Stille, von der ich den Eindruck habe, dass sie endgültig sein könnte, und Mara lässt mich los.
»Da ist ein Geländer«, sagt Mara ungeduldig und führt meine Hand. Ich spüre das kalte Metall.
»Mara, was ist mit den Leuten da unten los?«
»Was meinst du?«
»Na, die reden nicht, die bewegen sich nicht.«
»Lass doch«, sagt Mara.
»Und das Meer. Wo ist das Rauschen? Ich höre nichts.«
»Lass das jetzt. Stell die andere Frage.«
»Wie bitte?«
»Die andere Frage. Die, die jetzt dran ist.«
»Du meinst …«
»Mach schon.«
»Du meinst, ich soll sagen: Wo sind wir?«
»Im Hotel, auf dem Balkon«, sagt Mara. »Von hier können wir am besten sehen. Das Feuerwerk fängt gleich an.«
Ich taste nach Maras Hand, aber ich kann sie nicht greifen. »Schau nur! Die Farben! Alle Farben!«, ruft Mara und lacht und lacht und lacht. Ich kneife die Augen zusammen, bis ich mir vorstellen kann, die Feuerwerkskörper als graue Sternschnuppen zu sehen, die geräuschlos explodieren.
»Alle Farben«, sagt Mara, als es vorbei ist.
Ich weiß nicht, ob es an der Stille liegt, ob ein Schlag härter trifft, wenn er das Einzige ist, was der Getroffene wahrnimmt, in jedem Fall ist das ein weiterer Unterschied: Die Schmerzen, die Maras Hand, weich und kalt in meiner, mir zufügt, dringen dieses Mal so unmittelbar und tief ein, dass ich einen Schrei ausstoße, einen lang gezogenen Schrei des Entsetzens.
Ich schreie, bis ich endlich die Gänsehaut spüre, bis Maras Stimme den Traum durchdringt.
Der beißende Geruch des verpufften Feuerwerks hängt in der Luft. Mara unterhält sich mit schweigenden Schattenrissen. Ich stelle mir Mara vor, auf dem gelben Fahrrad, wie sie an einem nebligen Tag den grünen Hügel hinunterradelt, ich stelle mir vor, wie der Nebel Mara schluckt, und jetzt müsste eigentlich ein Schrei das Stimmengewirr durchdringen, der schrille Schrei einer Frau, die unten im Wasser einen Toten liegen sieht, aber es bleibt, natürlich, ganz still.
»Mara!«, sage ich.
»Ja?«
»Was soll das Ganze eigentlich?«
»Was denn?«
»Na, was redest du mit diesen Pappkameraden?«
»Pappkameraden?«
»Na, die Menschen, die hier rumstehen? Das ist doch nicht echt, das ist doch …«
»Na, was denn?«
»Das ist doch … Kulisse. Das stimmt doch nicht.«
»Wenn du meinst.«
»Mara, ich denke, wir sollten jetzt …«
»Komm, es wird Zeit.«
»Was?«
»Es wird Zeit. Siehst du nicht, dass da schon die Lichter flackern?«
Ich wende mich um und sehe grau auf schwarz das Flackern eines Blaulichts.
»Was soll das jetzt wieder?«
»Na, die Polizei ist da.«
»Aha. Und warum?«
»Weil unten eine Leiche im Wasser liegt. Da ist jemand von den Klippen gestürzt. Und du solltest deinen Text besser kennen. Also, ich sage: Ganz ruhig, es ist alles in Ordnung.« Maras kalte Hand in meinem Nacken. »Jetzt du, mach schon«, sagt Mara.
»Was denn?«
»Na, du musst jetzt loslaufen. Die Klippen runter. Du willst sehen, wer da unten im Wasser liegt.«
»Da liegt keiner, und es interessiert mich auch nicht.«
»Mach schon, du zögerst die Sache sinnlos hinaus.«
»Ich denke, wir sollten …«
»Jetzt lauf endlich los, du Schwein! Lauf die Klippen runter, und sieh dir das an!« Mara stößt mich in Richtung des Abhanges. »Lauf jetzt!«
Ich laufe.
Maras Stimme im Hintergrund. »Bleib stehen!«
Und ich sage also zu einigen Pappkameraden: »Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt, bitte, machen Sie Platz.«
Maras Stimme aus großer Entfernung. »Was redest du da?«
Ich packe einen und rede auf ihn ein: »Führen Sie mich zu dem Mann, ich bin Arzt, ich kann in der Dunkelheit schlecht sehen, Sie müssen mich führen, verstehen Sie, verstehen Sie, dass es eilt, dass es schnell gehen muss?« Natürlich reagiert der Schattenriss nicht, und weil er mich nicht hinunterführen wird, löse ich ihn mit einem kurzen kräftigen Ziehen aus seiner Verankerung und trage ihn unter meinen Armen die Klippen hinunter.
»Genau so!«, höre ich Mara rufen.
Ab und zu habe ich das Gefühl, abzurutschen, aber ich weiß, dass ich nicht stürzen werde, eine solche Wendung ist ausgeschlossen. Ich
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