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Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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nicht, dass sie es so gemacht hat, sie muss doch gewusst haben, dass ihr Sohn sie finden würde.«
    »Hm«, sage ich.
    Später räumt Vera die Spülmaschine ein, Sandra liegt auf dem Sofa und blättert vor sich hin summend in einer Zeitschrift. Ich beginne die Suche nach dem Affen aus Stoff, den ich beim Sackhüpfen gewonnen habe. Es ist immer schwierig, eine Suche zu beginnen, wenn man nicht die geringste Ahnung hat, wo das Gesuchte zu finden sein könnte.
    Ich stehe im Flur, ich kann Sandra auf dem Sofa liegen sehen und höre in der Küche das Geschirr klingen, und ich versuche, mich zu entscheiden, wo ich meine Suche beginne. In Veras Arbeitszimmer, im Schlafzimmer, in Sandras Zimmer oder unten in meinem Arbeitszimmer? In Schränken oder auf Stühlen, Sofas, unter Büchern, Notizen, Unterlagen? In irgendeiner Schublade? Ich weiß es nicht, ich habe das Gefühl, dass dieser Affe nicht in diesem Haus sein kann, aber er muss ja irgendwo sein, denn ich habe ihn gewonnen und kann mich nicht erinnern, ihn weggeworfen zu haben.
    Nein, ich erinnere mich sogar, dass ich ihn in der Hand hatte, als wir gingen. Ich erinnere mich, dass die Frau, die das Sackhüpfen organisiert hat, mir noch zugewinkt hat, und sie hat etwas gerufen:
    »Dass Sie ihn mir ja gut behandeln!«
    Und damit kann sie nur den Affen gemeint haben.
    Es ist Herbst, kalter Abend. Sandra liegt auf dem Sofa. Vera räumt die Küche auf. Ich stehe im Flur. Der Aufenthaltsort des Affen ist unbekannt.
    Etwas, das lange vergessen war:
    Ich höre ein Lied, das ich lange nicht gehört habe, so lange, dass ich nicht mehr wusste, es zu kennen, bis zu dem Moment, in dem sich die Melodie herauskristallisiert.
    Es ist Nacht, neben uns steht unser blauer Bus, wir sitzen vor einem Lagerfeuer auf kühlem Sand am Meer. Ich erzähle eine wirre Geschichte, um einem Mädchen zu gefallen, das mir gefällt. Irgendwann öffne ich die Augen, um zu sehen, wer mir noch zuhört, und ich sehe, dass alle an meinen Lippen hängen, nur das Mädchen, dem ich gefallen möchte, ist eingeschlafen. Das macht nichts. Ich stehe auf und renne auf das Wasser zu, ich lasse mich fallen.
    Der Himmel ist schwarz und sternenklar.
    Einer meiner Freunde taucht plötzlich neben mir auf und beginnt, das Lied zu summen, das ich lange vergessen hatte. Den Refrain grölen wir alle gemeinsam, und als das Mädchen, das wieder aufgewacht ist, mit ihrer hellen Stimme einstimmt, zerplatzt vor meinen Augen die Erinnerung.
    Herbst, kalter Abend. In unserer Firma produzieren wir auch Animationen für Mobiltelefone, aber es ist kein einfacher Markt.
    »Wie letztes Mal?«, fragt Viviana.
    »Wie letztes Mal«, sage ich.

12
    Maras Hand, die an meinem Hals entlangstreicht.
    Sie gießt Tee ein, ich nehme die Tasse, die sie mir reicht. Ich konzentriere mich auf den Rhythmus des Regens. Ich höre, wie sich das Wasser in Pfützen sammelt, wie es im Rasen versickert. Die Terrassentür ist geöffnet, Wind weht herein.
    Nichts ist passiert, nicht das Geringste.
    »Heute Abend«, sagt Mara nach langem Schweigen.
    »Heute Abend?«, frage ich.
    »Heute Abend ein Feuerwerk«, sagt Mara.
    »Ein Feuerwerk?«
    »Heute Abend ein Feuerwerk auf der Insel, und ich freue mich darauf, ich möchte, dass du mitkommst.«
    Maras Holzhaus, der grüne Hügel. Unser Bett und Maras rosaroter Rucksack. Das gelbe Fahrrad und das Rauschen des Meeres. Sonne und Wärme und kalte Nächte. Ab und zu ein Hagelschauer, der mich zum Lachen bringt.
    Eine Szene, von der man weiß, wie sie ablaufen wird, weil man sie schon erlebt hat. Man kennt sogar das Ende.
    Wir laufen den Hügel hinunter, den Steg entlang, am Rand der Insel, auf den Lärm, auf die Klippen, auf das Wasser zu. Mara führt mich und redet auf mich ein. Sie ist nicht bei mir, was sie sagt, verhallt, bevor ich die Bedeutung ihrer Worte greifen kann. Der Gedanke, dass Mara irgendwann nicht zurückkehrt, und das Bewusstsein, dass dieses Mal doch etwas anders ist, ganz anders. Sicher, wir stehen auf weichem feuchtem Sand, und Mara sagt mir auch, dass überall grüne, rote, gelbe, blaue Lichter brennen, und es ist ein warmer Abend, aber der Lärm ist keiner, ich habe ihn voreilig vorausgesetzt, der Lärm ist keiner, die Gläser klingen nicht, niemand lacht, die Schattenrisse verharren reglos.
    »Mara«, sage ich.
    »Ja?«
    »Mara, was ist hier los?«
    »Was meinst du?«
    »Na, was ist das hier?«
    »Komm!«, sagt Mara und zieht und zerrt mich mit, ich stolpere, versuche, mich aufzurichten, spüre den

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