SchattenTod | Ein Weserbergland-Krimi
Verfügung gestellt worden war.
Luise Winterstein war im Kirchenschiff auf und ab flaniert, hatte hier und da zur Seite genickt, Konversation betrieben, bis sie endlich sicher sein konnte, dass alle Honoratioren der Stadt sie gesehen hatten. In üppigem Brokatrot mit Pelzkragen und massiver Perlenkette ließ sie sich schließlich auf einem der Ehrenplätze nieder. Sie war schließlich jemand. Ihr Mann leitete die bekannten Bückeburger Sinfoniker.
Auf rührende Art auffällig war eine andere, sehr junge Dame. Lena Sternhagen schien bis auf ein drohendes Halskratzen an jenem Abend für ihre Verhältnisse leidlich gesund. Sie war seit einiger Zeit auch in psychologischer Behandlung. Vielleicht bekam sie hier Unterstützung. Trotz ihrer körperlichen Schwäche hatte sie es sich nicht nehmen lassen, mit dem Rollstuhl ins Kirchenschiff geschoben zu werden, um ihrer Mutter zuhören zu können. Ihr Bruder Felix verstärkte die Bassstimme im Chor. Gerne hätte Lena auch wieder gesungen, aber das war wegen ihres Zustandes unmöglich.
Kommissar Wolf Hetzer hatte sich schon wochenlang auf den „Elias“ in der Stadtkirche gefreut. In seiner Bückeburger Zeit war er selbst Mitglied der Kantorei gewesen. Rieke kannte er auch noch aus dem Chor. Wehmütig dachte er an die alte Zeit mit dem Kantorenehepaar Strömel zurück. Erika Strömel war inzwischen verstorben, Oskar Strömel im Ruhestand. Tief in seine Gedanken versunken, nahm er in der Kirchenbank Platz.
Die Kommissare Dickmann und Hofmann waren, was ihre musikalische Vorliebe betraf, völlig unterschiedlicher Ansicht. Während Bernhard Dickmann auf Rock, Pop und Jazz Wert legte, bevorzugte Ulf Hofmann die großen Komponisten. Er liebte es, in Violinkonzerten oder Streichquartetten zu schwelgen. Heute war er vor allem wegen Leander Winterstein hier, der ihn eingeladen hatte. Bernhard Dickmann saß mit Hund, Töchtern und Frau zu Hause und schob eine CD der Veterinary Street Jazz Band in den Player ein. Dabei wartete er jede Minute darauf, dass Seppi von der SpuSi ihn anrufen würde.
Peter und Nadja dachten überhaupt nicht im Traum daran, dass da irgendwo irgendein Konzert sein könnte. Sie waren sich selbst genug und küssten sich an den unterschiedlichsten Stellen.
Auch ER war an diesem Abend in der Stadtkirche. Und was er nie zu hoffen gewagt hatte, trat in dieser seligen Minute ein, als er sich setzte und seinen Blick schweifen ließ. Da saß SIE, seine Venus. Eine perfekte Kopie von Botticellis Venus – weiße Haut, rotgolden lockiges, wallendes Haar – und: Sie war jung! Zart und verloren saß sie in einem Rollstuhl und rührte ihn. Sie berührte ihn. Er schmolz dahin. Dem Aussehen nach musste sie Rieke Sternhagens Tochter sein. Aber die Mutter, die ihn gereizt hatte, interessierte ihn nun nicht mehr. Er wollte nur noch seine Venus, diese süße und mit Sicherheit unberührte Schönheit. Er schätzte sie auf knapp zwanzig Jahre. Sie würde nur ihm gehören.
Der Fuß
Es war Bernhard Dickmanns Aufgabe, den Jazz sausen zu lassen und nochmals in den Harrl zu fahren. Bei Anbruch der Dunkelheit hatte einer von Pinells Hundeführern die dem Fuß zugehörige Leiche gefunden. Der Nagellack war auf allen zehn Zehen identisch.
Auch Nadja war zu demselben Ergebnis gekommen. Gebärmutter und Fuß gehörten zusammen und der Eigentümer beider Teile war tot.
Das war insofern bedauerlich, da die Tote, eine gewisse Jenny Marhold aus Gütersloh, nur fünfzehn Jahre alt geworden war. Ein Schock für die Eltern des Mädchens, die befürchtet hatten, sie sei wegen schlechter Schulnoten von Zuhause ausgerissen. Nun mussten sie einer viel schlimmeren Tatsache ins Auge sehen.
Die Kollegen in Gütersloh übernahmen die Ermittlungen. Da aufgrund der in den Fall verwickelten Gebärmutter eine Verbindung zu den Serienmorden bestand, funkte Dickmann alles Wissenswerte nach Gütersloh und bat im Gegenzug darum, dass man ihn über den Stand der Ermittlungen informieren solle.
Als Nadja Jenny am späten Abend auf den Tisch bekam, stellte sie fest, dass hier nur zwei Schnitte ausgeführt worden waren. Der eine fand sich im Bereich des Halses und war dazu geeignet gewesen, der jungen Dame das Leben auszuhauchen. Numero zwei zog sich vom Bauchnabel bis zum Schambein und war lieblos ausgeführt worden. Bei den anderen Frauen war der Mörder sorgfältiger vorgegangen. Da hatte er das Messer vorsichtig angesetzt und die klaffende Wunde später wieder verschlossen, zuletzt sogar ohne
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