SchattenTod | Ein Weserbergland-Krimi
Nahtmaterial nur mit Hautkleber, sodass sich fast der Eindruck von Unversehrtheit ergab.
Jenny jedoch hatte einen zackigen, ruppigen Schnitt wie von einem schlecht geschliffenen Schlachtermesser, und niemand hatte sich die Mühe gemacht, dies irgendwie anschließend zu beschönigen. Ihr Peiniger hatte ihr lediglich eine Mullbinde um den Bauch gewunden, vielleicht, damit der Darm beim Transport nicht hervorquoll, denn den hatte er dort belassen.
Im Bereich des Hinterkopfes, der Ellenbogen und der Kniekehlen fanden sich Abschürfungen, die nach dem Tod erfolgt waren, sowie Spuren von Metall. Nadja vermutete, dass das Opfer mit einer Schubkarre oder einem ähnlichen Gegenstand in den Wald gebracht worden war.
Der fehlende Fuß war ganz offensichtlich die Folge eines Tierverbisses. Sie konnte Abschürfungen an den Fußwurzelknochen feststellen, die höchstwahrscheinlich von Tierzähnen stammten.
Nadja taten die Eltern jetzt schon leid. Sie würden ihre Tochter identifizieren müssen, aber das Gesicht war sowohl durch die Verwesung als auch durch den Ausdruck auf eine Art und Weise schrecklich, die einen das Gruseln lehrte.
Es war kurz vor Mitternacht, als Nadja das verstümmelte Mädchen wieder ins Kühlfach schob. Kommissar Peter Kruse und Frau Dr. Kukla von der Staatsanwaltschaft hatten die Sektion mit verfolgt. Die Kukla, wie immer ekelhaft und bissig, hatte mit Nachdruck darauf bestanden, Jenny sofort zu obduzieren. Anschließend war sie mit den Worten abgerauscht, dass sie erwarte, schnellstmöglich Ergebnisse in die Hand zu bekommen. Dabei war der Blick, mit dem sie Peter fixiert hatte, durchaus dazu geeignet gewesen, einen weiteren Menschen umzubringen.
Beide atmeten erleichtert auf, als die alte Ziege mit ihrem Angeberflitzer verschwunden war.
„Jetzt ein kühles Helles!“, schwärmte Peter und sah die Kiste in seinem Keller vor Augen.
„Und dazu ein paar ordentliche Bockwürstchen!“, seufzte Nadja.
„Du bist eine Frau nach meinem Geschmack“, lachte Peter, „aber wo kriegen wir denn jetzt noch Würstchen her? Um diese Uhrzeit haben doch sogar schon die Tankstellen dicht.“
„Keine Panik“, schmunzelte Nadja, „wir fahren auf dem Weg zu dir bei mir vorbei. Ich habe noch ein Glas im Küchenschrank.“
In Peters Ohren klingelte es. Auf dem Weg zu dir, hatte sie gesagt. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Er überlegte, ob sein Haus aufgeräumt genug war. Hatte er sein Bett gemacht? Lag irgendwo noch Wäsche rum? Alte Socken oder so was? Er hatte vergessen abzuwaschen.
„Peter?“, fragte Nadja den plötzlich verstummten Kommissar.
„Hast du kein Bier, oder ist es dir nicht recht, wenn ich mitkomme?“
Statt einer Antwort schnappte sich Peter die fast gleichgroße Nadja und küsste sie auf die Nasenspitze. Dann sagte er: „Ich habe Bier, und wenn nicht, würde ich bis ans Ende der Welt fahren, um welches zu holen.“
Er
Während die beiden Turteltäubchen Peter und Nadja in eine selige Nacht fuhren, stellte er Kerzen und Teelichter auf. Das Konzert hatte ihn berauscht. Mutters Vermächtnis war unter anderem eine Bibliothek von Noten. Sie hatte damals auch dafür gesorgt, dass er Klavier spielen lernte. Es wäre eine große Freude für sie gewesen, wenn sie noch hätte miterleben dürfen, wie einzigartig er den Tasteninstrumenten ganz unglaubliche Töne entlockte.
Heute Nacht wählte er die „Unvollendete“ von Schubert. Diese Brünette war für ihn das letzte unvollendete Projekt, aber er wusste jetzt, was zu tun war.
Trotzdem wollte er sie nicht so vergehen lassen, auch wenn sein Herz längst an der einen, für ihn einzig wahren Frau hing.
Er beschlief die Braungelockte im Angesicht von Mond- und Kerzenschein bei wehmütigen Klängen und dachte an seine Mutter.
Rieke
Rieke hatte sich nach tosendem Applaus, stehenden Ovationen und einigen Gesprächen mit Konzertbesuchern in die Sakristei zurückgezogen. Auf dem Weg hatte sie auch ihre Noten wieder an sich genommen. Diese fielen ihr vor Schreck aus der Hand, als plötzlich Leander aus dem Raum des Pastors kam. Beide bückten sich gleichzeitig nach dem Konglomerat aus Noten, Zetteln und einem Foto, das Rieke erbleichen ließ. Mit Edding war ihr Vorname auf dem Grabstein ihrer letzten Ruhestätte durchgestrichen und durch den ihrer Tochter ersetzt worden. Plötzlich wurde alles schwarz um sie herum. Das Nächste, was sie sah, war Leanders besorgtes Gesicht im Dämmerlicht des Nebenraums, der sonst dem Pastor
Weitere Kostenlose Bücher