Schattentraeumer - Roman
seine Tochter vor den Lastern des Gastgewerbes zu schützen. Yiannis war bei den Worten der alten Frau knallrot angelaufen.
Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon sie sprach, doch die irrtümlicheAnnahme, sie könnte auch nur ahnen, was sich Verdorbenes unter seinem Dach abspielte, trieb ihm den Schweiß auf die Stirn.
Nachdem er den Fernseher so gut eingestellt hatte, wie er eben konnte, erhob sich Yiannis von den Knien und wandte sich seiner
ihm fremd gewordenen Frau zu.
»Pack deine Sachen, Praxi. Es wird Zeit, dass du nach Hause kommst.«
Die Schwarzweißbilder vor Elenas Auge flimmerten hektisch hin und her, in ihrem Magen machte sich ein flaues Gefühl breit.
Beklommen sah sie zu, wie sich Praxis Augen zu Schlitzen verengten, doch letztlich leistete ihre Tochter keinerlei Widerstand.
Sie packte einfach ihre Kleider zusammen, sammelte ihr Make-up und ihre Cremedöschen ein und gab ihrer Mutter einen Abschiedskuss.
Möge Gott ihr verzeihen, aber das Einzige, was Elena verspürte, als sich die Tür hinter den dreien schloss, war Erleichterung.
Yiannis setzte den Chevrolet auf die Straße zurück. Wie er es erwartet hatte, verlief die Fahrt zum Hafen schweigsam und angespannt.
Niemand sprach ein Wort, und jeder Blick zur Seite verunsicherte ihn.
Zu Hause angekommen, ließ Praxi ihre Taschen mitten im Flur fallen und blickte sich in der Wohnung um.
»Da hat meine Mutter ja ganze Arbeit geleistet.«
»Wo ist mein Zimmer?«, wollte Elpida wissen. »Ich schlafe nicht wieder mit Mamma zusammen.«
»Du bekommst mein Zimmer«, erklärte Yiannis. Als er die Panik in Praxis Augen sah, fügte er hinzu: »Beruhige dich, ich bleibe
nicht hier. Und bis ich gehe, nehme ich mit dem Café vorlieb. Ich werde mir auch selbst mein Essen kochen …«
»Wo gehst du denn hin, Papa?«
»Ich werde meinem Land dienen, Elpida
mou
. Die Nachricht kam im Radio. Ich wurde in die Nationalgarde einberufen. In zwei Tagen bin ich weg.«
Dhespina stand auf und ließ Georgios schnarchend in ihrem gemeinsamen Bett zurück. Es war ungewöhnlich kalt im Zimmer. Im
ganzen Haus waren die Feuer ausgegangen, und Eisblumen zierten die Fensterscheiben. Sie beneidete ihren Mann: Er schlief einfach
immer gut. Dhespina hingegen machte sich einmal mehr zu viele Gedanken, um auch nur an Schlaf zu denken, und entschied daher,
Holz aus dem Schuppen zu holen. Als sie aus dem Haus trat, stockte ihr vor Schreck der Atem. Er lag zusammengekauert vor der
Tür, und seine Nase lief vor Kälte und vor Tränen.
»Herr Televantos, was machen Sie denn hier?«
Der alte Mann hob den Kopf und versuchte aufzustehen.
Dhespina beugte sich zu ihm hinunter, um ihm zu helfen.
»Dhespo, bitte, komm mit. Meine geliebte Frau … du musst etwas tun.«
»Was ist los, was ist passiert?«
Dhespina rief nach ihrem Mann, und Georgios kam verschlafen hinzu. Kurz darauf erschien auch Marios.
»Mach Herrn Televantos etwas Warmes zu trinken«, trug Dhespina ihrem Mann auf. »Marios, du kommst mit mir.«
»Nein, Dhespo, ich will mitkommen«, bat der alte Mann, und wie hätte sie es ihm verwehren können?
Rasch streiften sie sich ihre Mäntel über und machten sich auf den Weg zu dem kleinen Steinhaus im Dorfzentrum. Herr Televantos
klammerte sich an Dhespinas Arm, und sie gingen langsamer, als es die Eile gebot, die sie verspürte. Als sie das Heim der
Televantos erreichten, führte der Alte sie ins Schlafzimmer. Frau Televantos lag reglos unter einem Berg Decken auf dem Bett.
Als sie näher herantrat, sah Dhespina, dass sie mit offenen Augen dalag, doch das Licht darin war erloschen.
»Gib ihr etwas, Dhespo«, flehte der alte Mann. »Mach, dass sie aufwacht, sie soll wieder aufwachen!«
Er sank in den Korbstuhl, der neben dem Bett stand, und griff nach der Hand seiner Frau. Dhespina sah ihren Mann an.
»Ich gehe und hole den Priester«, flüsterte Georgios.
Dhespina trug Marios auf, nach Hause zurückzulaufen und ihr ein Fläschchen Jasmin aus dem Gartenhaus zu bringen. Sie konnte
nichts mehr für die alte Frau tun, das wussten alle, außer den Geruch des Todes von ihrer Haut waschen, während sie auf den
Priester warteten.
Wortlos schloss Dhespina ihren alten Nachbarn in die Arme.
Michalakis nahm seine Uniform entgegen, stellte sich in die Schlange, füllte seine Blechdose auf, ließ die Rede über sich
ergehen und bedankte sich im Stillen bei Kyriakos.
»Lass dir unbedingt einen Bürstenschnitt machen, bevor du gehst«,
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