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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Busfield
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stockdunkel
     war, hatte keiner eine Ahnung, wo »da drüben« sein könnte.
    Sie tasteten sich an einer Wand entlang und betraten schließlich einen Raum, der vom Halbmond erleuchtet wurde. Unterhalb
     der Fensteröffnung pressten sie sich mit dem Rücken gegen die Wand. Pieris wühlte in seinen Taschen nach Zigaretten und Streichhölzern.
    »Das würde ich an deiner Stelle nicht tun«, riet ihm Michalakis. »Du könntest dir eine Kugel einfangen.«
    »Das passiert erst bei der dritten Zigarette«, gab Pieris zurück.
    »Oh, verstehe«, antwortete Michalakis. »Du zählst also darauf, dass es einem von uns passiert, denn wir rauchen ja alle. Gut
     zu wissen, dass du uns Deckung gibst.«
    »So habe ich das nicht gemeint«, protestierte der Soldat.
    »Nur mit der Ruhe«, lachte Michalakis. »Ich mache doch bloß Spaß. Rauch nur eine. Wir können warten.«
    Savvas meldete sich zu Wort: »Übrigens hast du dich gerade als Opfer des kapitalistischen Einfallsreichtums zu erkennen gegeben,
     Pieris.«
    »Ach ja?« Pieris zündete sich die Zigarette an.
    »Ja«, bestätigte Savvas. »Man hat dir bestimmt erzählt, dass es im Ersten Weltkrieg als Unglücksbringer angesehen wurde, wenn
     drei Männer sich ihre Zigaretten an nur einem Streichholz anzündeten – aus Angst, dass einer getötet werden könnte. Denn der
     Feind würde die Flamme sehen, wenn der erste Soldat sie benutzte, sein Gewehr ausrichten, wenn der zweite seineZigarette anzündete, und schließlich schießen, wenn das Streichholz beim dritten angelangt war. Das ist aber völliger Unfug.
     Während des Ersten Weltkriegs gab es diesen Aberglauben gar nicht. Die Geschichte wurde etwa zehn Jahre später vom schwedischen
     Zündholzfabrikanten Ivan Kreuger verbreitet, damit Leute wie du mehr Streichhölzer verwenden.«
    »Das ist ja verrückt«, verkündete Pieris.
    »So macht man nun mal Geschäfte«, erwiderte Savvas, und Michalakis meinte zu erkennen, wie dem AKEL-Mann der Schalk aus den
     Augen blitzte. Ihn überkam plötzlich ein tiefes Gefühl des Verlusts. In ein paar Monaten würden die drei wieder Zivilkleidung
     tragen, und zu seiner eigenen Überraschung wurde Michalakis beinahe nostalgisch bei diesem Gedanken. Auch wenn es ihn zunächst
     verstimmt hatte, war ihm das Soldatenleben doch bald lieb geworden. Sein Körper war nun muskulöser, seine Einstellungen toleranter,
     und bislang hatte er noch keinen Menschen töten müssen. Im Nachhinein würde er die starke Verbindung vermissen, die er zu
     einigen der Männer geknüpft hatte.
    »Ach, kommt schon, das hat doch keinen Sinn«, erklärte Michalakis und stand auf. »Lasst uns nachsehen, wo unser sogenannter
     Feind steckt, damit wir zumindest wissen, in welche Richtung wir schießen müssen.«
    »Ich stimme dir zu, Bruder.« Savvas stand vom Boden auf, und Pieris folgte ihm widerstrebend.
    Mit ihren Waffen im Anschlag schlichen die drei Soldaten durch die verwinkelten Straßen, die einst Heimat einer geschäftigen
     türkisch-zyprischen Gemeinschaft gewesen waren. Es herrschte eine unheimliche Stille, die zusammen mit den deutlichen Spuren
     eines Kampfes eine traurige und zermürbende Atmosphäre schuf.
    »Das ist doch Unsinn, hier ist niemand!«, brummte Pieris, als sie das verlassene Haus aus dem Blick verloren, das ihnen als
     »Basis« zugewiesen worden war.
    »Doch, hier ist jemand«, flüsterte Savvas vor ihnen. Michalakisfolgte ihm bis zur Ecke der engen Gasse. Aus einem offenen Türrahmen flackerte ein Licht, das offensichtlich von einer Kerze
     stammte.
    Die Soldaten umschlossen ihre Waffen fester, sahen sich an und nickten in stillem Einverständnis. Vorsichtig schlichen sie
     über das Pflaster und konzentrierten sich auf die einstudierten Handgriffe. Michalakis übernahm die Führung, Savvas gab ihm
     Rückendeckung. Pieris sicherte die beiden von der anderen Straßenseite aus. Plötzlich durchdrang ein Schrei die Stille.
    »Ich kann euch hören!«
    Die Soldaten blieben erschrocken stehen. Der Feind hatte sie entdeckt, und er sprach Griechisch. Michalakis sah Savvas an,
     der seine Waffe entsicherte. Dann sprang er, die Martini-Henry nach vorn gerichtet, ins Licht und fand sich vor der zusammengesunkenen
     Gestalt eines Mannes wieder, der, über einen Resopaltisch gebeugt, seine Mahlzeit verspeiste. Er war alt wie Methusalem.
    »He, alter Mann, was tun Sie hier?«, fragte Michalakis verärgert, als sein wild schlagendes Herz sich allmählich beruhigt
     hatte.
    »Wonach sieht’s denn

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