Schattentraeumer - Roman
glaubte nicht, dass er je für
einen anderen Menschen so viel würde empfinden können wie für den Mann, der ihm am Tisch gegenübersaß.
»Du wirst sehen, die Junta wird sich aufmachen und für Griechenland kämpfen«, erklärte Victor ihm zwischen zwei Bissen Schweinekebab
mit Pitabrot. »In diesem Augenblick haben wirzehntausend Mann auf der Insel, und vor diesem Castro im Priestergewand müssen wir keinen Kotau mehr machen. Die Offiziere
werden bald Grivas statt Makarios unterstützen. Es wird Zeit, den Krieg zu den Türken zu bringen.«
»Ein paar der Offiziere in Larnaka haben von Kophinou gesprochen«, verriet Yiannis. Victor grinste.
»Dort wird es definitiv anfangen«, bestätigte er. »Die Hunde haben lange genug über uns gelacht.«
Die Straßen nach Lefkosia, Larnaka und Lemesos trafen sich alle unmittelbar bei Kophinou, und die türkischen Zyprer hatten
Straßensperren errichtet, welche die Polizei am Passieren hinderten. Es war kein Geheimnis, dass Grivas den Widerstand des
Dorfes brechen wollte, und da er die neue Junta auf seiner Seite wusste, konnte er diesen Schritt wagen – mit oder ohne Zustimmung
des Präsidenten.
»Wer weiß, da du in Larnaka stationiert bist, wirst du vielleicht sogar eine historisch bedeutsame Rolle spielen«, sagte Victor
lächelnd.
Yiannis erwiderte das Lächeln. Ihm wurde ganz warm ums Herz, wenn er daran dachte, wie solches Heldentum sich auf ihre Beziehung
auswirken würde. Er erhob sein Glas.
» Enosis! «
» Enosis! «
, gab Victor zurück. Dann deutete er mit seiner Gabel auf Yiannis’ Mund. »Du hast da übrigens Petersilie zwischen den Zähnen.«
Loukis hatte sich extra einen Platz gesucht, der weit genug entfernt war, um zu verhindern, dass er seine Hand plötzlich auf
Praxis Knie wiederfand. Während die Gastgeberin also unter dem Schild mit der Aufschrift
Die Perle von Keryneia
saß, befand er selbst sich im grellen Sonnenlicht, umgeben von Männern, die über die Schmach im Fußball diskutierten. Anfang
des Jahres hatte die Nationalmannschaft mit 0:2 gegen Italien und 0:7 gegen Rumänien einen traurigen Start bei den Qualifikationsspielen
für die Europameisterschaft hingelegt. Nun musstedas Team im November zuerst gegen Italien und dann gegen die Schweiz ausgleichen.
»Zu dumm, dass die Spiele nicht hier im Land stattfinden, die Jungs könnten ein wenig Unterstützung gut gebrauchen«, klagte
Andreas.
»Keine Sorge, Asprou wird das schon meistern«, orakelte Georgios.
»Niemals«, sagte Marios. »Wenn überhaupt, dann schießt Papadopoulos die Tore für uns. Darauf verwette ich einen ganzen Monatslohn.«
»Und ich wette um den Jahresverdienst von euch beiden, dass wir mit leeren Händen nach Hause kommen«, brummte Christakis.
»Mit Gavalas als Trainer haben wir keine Chance. Der Mann wüsste nicht mal, wie er einen Heuballen auf zwei Esel aufteilen
sollte.«
Am Kopfende des Tisches beugte sich Elena zu Dhespina hinüber. »Reden die etwa schon wieder über Fußball?«
»Besser als über Politik«, erwiderte ihre Freundin.
»Mamma, kannst du mir die Kartoffeln noch mal geben?« Niki streckte ihre Hand erwartungsvoll in Lenyas Richtung. Überzeugt
davon, dass Keryneias Schlangen auch während der Mahlzeiten eine Gefahr darstellten, hatte sie sich mit angezogenen Beinen
auf ihren Stuhl gehockt.
»Hast du noch nicht genug, Niki?«, fragte Lenya.
»Fast«, antwortete ihre Tochter, woraufhin Elena eine Augenbraue hochzog.
»Das Kind hat den Appetit eines Löwen«, sagte sie mehr zu sich selbst, doch Nikis Vater am anderen Ende des Tisches nahm den
Faden auf.
»Sie hat den Appetit eines Champions, Elena!« Andreas wandte sich den Männern zu und berichtete, dass seine Tochter von der
Schule ausgewählt worden war, die Unter-Elfjährigen beim 400-Meter-Lauf der Landesbesten zu vertreten. »Sie wird die Jüngste
auf dem Feld sein«, fügte er stolz hinzu.
»In der Schule meinen sie, dass wir ihr, wenn ihre Entwicklung weiterhin Erfolg verspricht, einen professionellen Ausbilder suchen sollen«, erzählte Lenya den Frauen. »Andreas denkt natürlich,
dass das nur ein Trick des Sportlehrers ist, um mehr Geld zu bekommen.«
»Wir brauchen keinen Lehrer, nicht wahr, Niki
mou
?«, rief ihr Vater daraufhin. »Stell dir einfach nur vor, die Schlangen sind hinter dir her!«
»Papa!«, kreischte das Mädchen, und Lenya rollte die Augen. Die anderen Frauen steuerten sogleich Geschichten über ihre Männer
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