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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Busfield
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aus?«, knurrte der Alte. Michalakis hörte Savvas hinter sich kichern.
    »Sind Sie allein?«
    »Ja, bin ich.«
    »Haben Sie keine Angst?«, rief Pieris, der immer noch draußen die Straße absicherte.
    »Wovor?«, rief der alte Mann zurück. »Hier leistet mir nur mein eigener Schatten Gesellschaft, außer man zählt die Katzen
     und Ratten mit.«
    »Was ist mit den Türken?«
    Der alte Mann klackerte mit seinem Gebiss. »Hier sind keine Türken, mein Sohn. Sieh dich um! Und selbst wenn es welche gäbe,
     warum sollten sie mich angreifen? Ich tue doch niemandem was.« Er stand auf und ging mit der Kerze in ein anderes Zimmer.
     Kurz darauf kam er mit drei kleinen Gläsern zurück und füllte siemit je einem Schluck Weinbrand. Michalakis nahm die Gabe dankend an und reichte die Gläser an Savvas und Pieris weiter.
    »Wo ist Ihre Familie?«
    »Schon lange tot.«
    »Gibt es niemanden, zu dem Sie gehen können?«
    »Warum sollte ich weggehen?«, fragte der alte Mann ehrlich überrascht. »Es ist ruhig hier. Ich habe mein Haus. Ich habe mein
     Leben. Und, lasst mich drei Mal auf Holz klopfen, ich habe immer noch meine Gesundheit. Ich gehe jeden Tag rüber ins Nachbardorf
     und hole mir meine Gurken und Tomaten und einmal im Monat eine Flasche Weinbrand. Ich störe niemanden und kümmere mich um
     meine eigenen Angelegenheiten. Wenn jeder das so machen würde, wärt ihr heute Nacht vielleicht auch in euren Häusern und würdet
     hier nicht Geistern hinterherjagen.«
     
    Am 21. April 1967 wurde Griechenland von einem Militärputsch erschüttert, den Obristen und höhere Offiziere des Geheimdienstes
     angestiftet hatten. Der Kopf der Junta war Oberst Georgios Papadopoulos, und Yiannis war nicht sicher, was er von der Entwicklung
     halten sollte – bis Victor es ihm vorgab.
    »Jetzt geht es endlich voran«, verkündete der Offizier zuversichtlich, während sie sich über ihre Fleischvorspeisen hermachten,
     die sie zu einem günstigen Preis in einer malerischen Taverne an der Küste von Ammochostos bestellt hatten.
    Yiannis biss in ein scharfes Würstchen, nickte und klopfte sich dann gegen die Brust, um sich geräuschvoll von einem aufsteigenden
     Sodbrennen zu befreien. Victor zuckte zusammen, und Yiannis errötete.
    »Wird Zeit, dass dein Dienst zu Ende geht.« Victor lachte, woraufhin Yiannis sich entspannte, da er die scherzhafte Bemerkung
     seines Freundes als Zeichen dafür ansah, dass dieser ihn vermisst hatte.
    Seit sechzehn Monaten trafen sich die beiden Liebhaber nur alle zwei Wochen sonntags in Hotels und Herbergen, die über die
     ganze Insel verteilt lagen, wobei sie stets zwei Einzelzimmernahmen, um nicht aufzufallen. Wenn das Wetter es erlaubte, übernachteten sie unter freiem Sternenhimmel. Und wenn Victor während
     seines Urlaubs aufs Festland verschwand, suchte Yiannis noch einmal all die Orte auf, an denen sie sich geliebt hatten. Ihm
     war schamhaft bewusst, wie dumm sein Verhalten war und dass er die Gelegenheit nutzen sollte, seine Tochter zu sehen, doch
     er konnte die Verstellung nicht ertragen, die eine solche Reise erfordert und die sein eigenes Gefühl von Verlust nur noch
     verstärkt hätte. Wenn Victor weg war, kam Yiannis sich schrecklich verloren vor. Manchmal fühlte er sich so unsicher, dass
     er kaum noch sprechen konnte. Und wenn er nicht zur Armee gemusst hätte, hätte er aller Wahrscheinlichkeit nach die Zeiten
     von Victors Abwesenheit im Bett verbracht. Natürlich wusste niemand außer ihm selbst etwas von all dem. Obwohl er sich danach
     sehnte, mit jemandem über das Schwanken zwischen Trauer und Freude zu sprechen, das Victor in ihm auslöste, hielten ihn seine
     eigenen Vorurteile davon ab. Denn trotz seiner Neigung war er schließlich ein Mann, und nur Frauen redeten über ihre Gefühle.
    Yiannis hatte keinen Zweifel daran, dass er Victor liebte, allerdings war er sich weniger sicher, ob seine Gefühle erwidert
     wurden. Er betete dafür, Victor möge auch nur einen Bruchteil seiner eigenen Hingabe verspüren. Das Wort Liebe war in all
     den Jahren, in denen sie das Bett geteilt hatten, nicht ein einziges Mal gefallen. Sie sprachen über kaum etwas anderes als
     über Politik. Nicht einmal von ihren Familien oder der Verlogenheit ihrer Ehen erzählten sie sich noch. Bisweilen hatten sie
     sich bei ihren Treffen auch gar nichts zu sagen. Doch heute hatten der zweite Krug
kokinelli
und die Nachricht vom Putsch die Unbeschwertheit in Victors Blick zurückgebracht, und Yiannis

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