Schattentraeumer - Roman
fühlte sich real an, und er musste sich während der Fahrt immer wieder daran erinnern, dass der geistliche und politische
Führer seines Landes von Soldaten des Mutterlandes gejagt und getötet worden war. Michalakis war nicht in der Lage, das ganze
Ausmaß der Ereignisse zu erfassen, und als er durch die leergefegten Straßen der Hauptstadt fuhr, galt seine Hauptsorge dem
verpassten Termin bei dem Herzspezialisten für seinen Vater.
Es überraschte ihn nicht, dass es seine Mutter war und nicht seine Frau, die ihm zu Hause tränenüberströmt und voller Fragen
in die Arme fiel. Hinter ihr wartete sein Vater, ihm stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Maria drückte sich im
Hintergrund herum. Sie war zu weit weg und sein Blick zu verschwommen, um ihren Gesichtsausdruck erkennen zu können.
»Was haben diese Ungeheuer dir angetan?«, rief Dhespina weinend und zog ihn in die Küche, um sein übel zugerichtetes Gesicht
zu säubern. »Als wir hörten, dass der Erzbischof tot ist, dachten wir, o Gott …«
»Ich kann es nicht glauben«, murmelte Michalakis. »Maka rios ist tot.« Sein Mut sank, als die Nachricht endlich in sein Bewusstsein sickerte.
»Der Erzbischof
war
tot«, verbesserte Georgios ihn und ließ seinem Sohn einen Augenblick Zeit, den Sinn seiner Worte zu begreifen. »Bis vor zwei
Stunden war er noch der verstorbene Erzbischof Makarios III. Aber der alte Kerl konnte ihnen allenentkommen und ist erst nach Troodos und dann weiter nach Pafos geflohen, von wo aus er eine Nachricht gesendet hat.«
»Mein Gott, bist du dir sicher?«, keuchte Michalakis.
»Das war eindeutig Makarios.«
Ein breites Lächeln leuchtete auf Michalakis’ Gesicht, ließ ihn jedoch sogleich vor Schmerz zusammenzucken. Der Mann in Schwarz
hatte ihnen wieder einmal eine Lektion erteilt, und nachdem seine Mutter mit seinem Gesicht fertig war und sich entschuldigt
hatte, dass sie ohne ihre Kräuter nicht mehr ausrichten konnte, rief Michalakis im Büro an. Er versuchte gerade, aus der Empfangssekretärin
etwas Sinnvolles herauszubekommen, da wurde ihr überspanntes Kreischen plötzlich vom beruhigenden Brummen seines Herausgebers
abgelöst. Michalakis gab rasch seinen Bericht über den Staatsstreich im Palast wieder und bat, ihn zum Diktat weiterzuleiten.
Bestürzt lauschte er den Worten seines Chefs, der ihm mitteilte, dass er sich seine Energie sparen könnte, da es am nächsten
Tag keine Zeitung geben würde.
Die Stimme
durfte auf Befehl der neuen Regierung bis auf weiteres nicht mehr erscheinen.
»Unser Tag wird kommen«, krächzte der Herausgeber. »In allen größeren Städten kämpfen die Makarios-Anhänger. Das Volk revoltiert.
Diese Dreckskerle … die Hunde, die das getan haben … deren Blut ist nicht griechisch. Schreib deinen Bericht, und in ein paar
Tagen …« Ohne Vorwarnung war die Leitung plötzlich tot.
Yiannis legte den Hörer auf, unschlüssig und verwirrt von der Bitte. Dhespina hatte im Café angerufen und gehofft, Praxi oder
Elpida an den Apparat zu bekommen, doch stattdessen musste sie Yiannis anflehen, Christakis und Loukis Bescheid zu geben,
dass sie und Georgios sich in Michalakis’ Haus in Lefkosia in Sicherheit befänden. Sie nahm sich wirklich einiges heraus,
ihn zu bitten, dem Liebhaber seiner Frau und dem Bruder des Liebhabers seiner Frau mitzuteilen, dass ihre Eltern unversehrt
wären – doch Yiannis kam zu dem Schluss, dass sie nuneinmal in außergewöhnlichen Zeiten lebten. Als er sich bereitmachte, die Nachricht zu überbringen, klingelte das Telefon erneut.
Diesmal war es Jason, der nach Elpida fragte. Er überzeugte den Jungen davon, dass seine Tochter sich in Sicherheit befand,
und ließ sich eine Nummer geben, damit sie ihn anrufen konnte. Auf dem Weg zu seinem Auto fragte sich Yiannis, ob irgendjemand
sich eigentlich die Mühe machte, herauszufinden, ob
er
noch am Leben war.
Er jagte den Motor des Torino hoch und schob seine Verdrießlichkeit beiseite, um den heldenhaften Boten zu spielen. Sein scheinbar
selbstloser Mut war von den zuvor vernommenen Geräuschen der griechischen Panzer und anderer Kriegsfahrzeuge angeheizt worden,
die sich in Bewegung gesetzt hatten, um Makarios’ Verfolgung aufzunehmen. Yiannis war insgeheim stolz, dass ihr Erzbischof
sich von den Griechen nicht so leicht unterkriegen ließ, auch wenn er es bislang noch nicht gewagt hatte, die blauweiße Flagge
von der Wand seines Cafés zu reißen. Man
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