Schattentraeumer - Roman
sollte auch wieder nicht zu voreilig sein.
Nachdem er Christakis Dhespinas Botschaft übermittelt und seinen unbeholfenen Dank in Form eines großzügigen Schlucks Weinbrand
empfangen hatte, fuhr er ins Dorf, um Elpida die Nachricht von Jason auszurichten. Er fand Elenas Haus jedoch verschlossen
vor, und mit einem Blick durchs Fenster vergewisserte er sich, dass niemand da war. In seiner Brust machte sich plötzlich
Unbehagen breit. Und so war er geradezu erleichtert, wenn auch etwas verlegen, als er seine Tochter, ihre Mutter und ihre
Großmutter kurz darauf gemeinsam mit Loukis auf dem Hof des Türken aufspürte. Sie saßen auf Mehmets Veranda und lauschten
dem alten Mann, der die Übertragung von Radio Bayrak für sie übersetzte.
»Wir konnten Radio Zypern nicht mehr trauen«, erklärte Praxi etwas befangen, während Elpida Jasons hingebungsvolle Worte aufsog.
Yiannis nahm das Glas Bier an, das Loukis ihm anbot.
»Die Nationalgarde hatte Makarios in Pafos umzingelt«, enthüllteMehmet. »Dann hat Sampson seine Männer in das Gebiet geschickt und sie mit Kampfhubschraubern Stellungen der Makarios-Getreuen
beschießen lassen. Daraufhin sind die Briten auf den Plan getreten. Sie haben einen Helikopter mitten durchs Kampfgeschehen
gesandt. Er wurde beschossen, aber nicht getroffen. Der Hubschrauber hat euren Erzbischof zur Basis in Akrotiri gebracht.
Man vermutet, dass Makarios mittlerweile nach Malta ausgeflogen wurde und dass er von da aus nach London weiterreisen wird.«
Mit einem dankbaren Aufschrei sprang Elena von ihrem Stuhl und fiel Mehmet schwungvoll um den Hals. »Danke«, brachte sie hervor,
und er tätschelte ihr die Hand.
»Ich kann es gar nicht glauben«, murmelte Praxi und hielt die Hand ihrer Tochter fest umschlossen. »Dass die Griechen uns
so etwas antun.«
»Wie eine Mutter, die ihre Tochter ins Gesicht schlägt«, stimmte Elena zu und küsste Praxi auf den Scheitel, um das Ausmaß
des Verrats zu demonstrieren, den sie alle empfanden.
»Wird die Türkei reagieren?«, fragte Yiannis.
Mehmet erwiderte, dass damit wohl zu rechnen sei.
»Gott stehe uns bei«, betete Elena. Und als die Nacht hereinbrach, machte keiner Anstalten zum Aufbruch – weil sie sich zu
mehreren sicherer fühlten.
Der Hunger trieb die Frauen dazu, sich in Mehmets Küche zurückzuziehen und einen einfachen, aber tröstenden Linseneintopf
zu kochen. Als ihre Mägen gefüllt waren und die Nachtluft um sie herum still wurde, sanken sie auf der Veranda in den Schlaf,
während das Radio im Hintergrund Wache hielt. Am nächsten Morgen fuhren Yiannis und Loukis zu Elenas Haus und holten den Fernseher,
damit sie auch die griechische Version der Ereignisse in Bild und Ton verfolgen konnten. Es war nicht schön anzusehen, wie
Dutzende Makarios-Anhänger in Ketten vor die Kameras geführt wurden. Elena weinte für sie, und die Männer um sie herum brummten
besorgt vor sich hin.
»Schaltet das aus«, bat Praxi, und zum ersten Mal war Elenaeinverstanden. Sie drückte auf den Knopf, und die Bilder schrumpften zu einem weißen Fleck zusammen, bevor der Bildschirm
wieder schwarz wurde. Keiner sagte ein Wort, doch sie alle quälte die Angst vor dem, was ihnen in einer noch unbekannten Zukunft
bevorstand.
An Schlaf war kaum zu denken, auch nicht, als sich die Gruppe auf ihre zweite gemeinsame Nacht vorbereitete. Yiannis bemerkte,
dass Loukis und Praxi mit jeder verstreichenden Stunde näher zusammenrückten, und er stand auf und fragte sich, ob er seine
Frau und Tochter auffordern sollte, ihn nach Hause zu begleiten. Aber Mehmet bat ihn zu bleiben, und es kam ihm unter den
gegebenen Umständen kleinlich vor, seiner Familie den Trost zu entreißen, den sie auf der Veranda des alten Mannes zu finden
schien. Er selbst fühlte sich in dieser speziellen Zusammenstellung jedoch unbehaglich und kehrte nach Keryneia zurück, allerdings
musste er seiner Tochter versprechen, in wenigen Tagen wiederzukommen. Loukis schüttelte ihm die Hand, bevor er ging, und
Yiannis wunderte sich wieder einmal über die außergewöhnlichen Zeiten, in denen sie lebten.
Drei Tage nach dem Putsch hielten Elena, Praxi und Elpida die Lage für ausreichend sicher – und sich selbst für schmutzig
genug –, um sich nach Hause zu wagen. Nach weiteren vierundzwanzig Stunden betrat Makarios die Weltbühne. In klaren Worten
erklärte er dem UN-Sicherheitsrat, dass die griechische Militärjunta ihre Diktatur auf
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