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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Busfield
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Gipfel des Hangs erreicht hatten, machte Andreas den Motor aus und ließ den Wagen hinter ihr her rollen. Zu seiner Linkenlöste sich die Schwärze der Nacht am Horizont allmählich auf. Er schnippte den Stummel seiner zweiten Zigarette aus dem Fenster,
     um sich auf den Jubel zu konzentrieren, der nun gleich in seiner Phantasie ertönen würde. Als die ersten Sonnenstrahlen die
     Erde berührten, erklang jedoch kein ohrenbetäubender Applaus – es war der Knall eines Düsenjägers, der durch den Himmel brach.
     Darauf folgte eine Serie von Explosionen, und noch bevor Andreas Zeit hatte, sich zu wundern, wurde die Straße vor ihm aufgerissen.
     Das Auto wirbelte durch die Luft wie eine Münze, die von einem Lineal geschnipst wird, und er verlor das Bewusstsein.
    Eine Stunde später sah Andreas die Hände von Fremden, die ihn aus den Trümmern zogen. Er schrie nach seiner Tochter, bevor
     die Welt um ihn wieder schwarz wurde. Wenn er das nächste Mal aufwachte, in einem Krankenhausbett im Süden des Landes, würde
     man ihm mitteilen, dass seine Frau und sein jüngstes Kind vermisst waren und dass Niki tot war. Zum Glück würde man ihm nie
     sagen, dass sein eigenes Auto sie umgebracht hatte, dass der Datsun auf seine Tochter gestürzt war und ihren Kopf und Körper
     zu einer unkenntlichen Masse zerquetscht hatte – lediglich ihre schlanken Beine ragten zuckend, aber unversehrt unter dem
     zerdrückten Autodach hervor.
     
    Als er den Boden unter seinem Bett erzittern fühlte, war Yiannis’ erster Gedanke, dass er die griechische Flagge aus dem Café
     entfernen musste. Der zweite galt seiner Familie.
    In der Morgendämmerung kamen die Menschen verschlafen aus ihren Häusern, um das Ausmaß der Gefahr zu beurteilen, in der sie
     sich womöglich befanden. Wie zur Antwort jagte ein zweites Kampfflugzeug über sie hinweg, und irgendwo schrie eine Frau auf.
     Alle Blicke waren aufs Meer gerichtet. Eine Wand aus Truppentransportern bewegte sich auf die Insel zu, hinter ihnen zeichneten
     sich die düsteren Umrisse von etwa einem Dutzend Kriegsschiffen ab. In der Stadt brach Panik aus.
    »Heilige Maria«, murmelte Yiannis und rannte zu seinemWagen. Mit zitternden Beinen trat er auf die Kupplung, seine Finger hatten Mühe, den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken.
     Endlich heulte der Motor des Torino auf, und Yiannis trat aufs Gas. Als er über das Kopfsteinpflaster jagte und rechts in
     die schmale Gasse einbog, die auf die Hauptstraße führte, strömten Menschen mit Kindern an der Hand und hastig gepackten Koffern
     in alle Richtungen davon. Yiannis trat auf die Bremse, um ein junges Mädchen nicht zu überfahren, da riss eine Hand die Beifahrertür
     auf. Er beugte sich hinüber und zog sie wieder zu, doch die angsterfüllten Augen einer alten Frau flehten ihn an.
    »Meine Familie! Ich muss meine Familie holen!«, rief er entschuldigend. Es war alles beinahe zu viel für ihn.
    Mit kreischenden Bremsen kam er auf der Hauptstraße zum Stehen, als ein weiterer Düsenjäger die Fahrbahn vor ihm im Tiefflug
     bombardierte. Beton und Asphalt schleuderten ihm entgegen. Yiannis riss das Lenkrad herum und steuerte den Wagen auf ein Feld,
     unter ihm stoben die Auberginenreihen auseinander. Mit den Scheibenwischern entfernte er die Pflanzen von seiner Frontscheibe,
     gerade rechtzeitig, um zusehen zu müssen, wie ein Feuerball auf ein verfallenes Gebäude niederging. Es fiel in einem Haufen
     aus Schutt und geborstenen Balken in sich zusammen. Verschreckt blickte Yiannis um sich. Zu seiner Rechten stieß eine Garage
     wütende Flammen in den Himmel, und über den Dächern von Keryneia stiegen schwarze Rauchsäulen auf, die sich wie in unaussprechlichen
     Qualen wanden und ins Blau hinein ausbreiteten. Das Kampfflugzeuggeschwader über ihm gab keine Ruhe, unentwegt warf es Bomben
     ab, wie Aaskrähen, die sich an Verwundeten labten.
    Die Bewohner des Dorfes waren etwas weiter von den Zerstörungen entfernt, die den Hafen verschlangen, und hatten daher genügend
     Zeit, um ihre Gedanken sowie ihr Hab und Gut zu sammeln. In jedem Haus lief das Radio, allenthalben dementierte der offizielle
     Zyprische Rundfunk Gerüchte über eine Invasion, solches Reden sei schlicht »unverantwortlich«. Dennoch bewegte sich innerhalb
     von dreißig Minuten nach derersten Explosion eine Autoschlange Richtung Westen, fort von dem Krieg, der für die Bewohner ganz offensichtlich begonnen
     hatte und sie zu vernichten drohte. In zehnminütigen

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