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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Busfield
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stehen blieb und sich umdrehte.
     Als Maria ihn eingeholt hatte, griff er nach ihrer Hand und lief weiter.
     
    Als sich der Sommer von der Insel verabschiedet hatte und der Herbst die ersten dunklen Wolken schickte, die mit ihren Bäuchen
     an den Kalksteinspitzen des Keryneia-Gebirges hängenblieben, zog Großbritannien einen Teil seiner Truppen aus Zypern ab –
     die Soldaten wurden in Ägypten gebraucht, um die Suezkrise in den Griff zu bekommen.
    Praxi wollte Loukis dafür bestrafen, dass er sie allein auf dem Berg hatte stehen lassen. Und so gestattete sie Yiannis, sie
     zum Tanz auszuführen – was sich als derart langweilig erwies, dass sie froh war, schon um halb sieben wieder zu Hause sein
     zu müssen. Als Loukis sich dennoch standhaft weigerte, sich bei ihr zu entschuldigen, versuchte sie es mit den Tricks, die
     sie sich bei den Frauen im Dorf abgeguckt hatte: knapp dosierte Höflichkeit, gepaart mit jeder Menge Desinteresse. Doch da
     Loukis ebenso stur war wie Praxi, führte auch dieses Rezept nicht zum Erfolg.
    Dhespina beobachtete das ganze Theater mit wachsender Sorge, da sie fürchtete, es könnte in einem Anfall gipfeln. Doch die
     Ängste hielten sich von Loukis fern, er verbrachte seine Tage weiter mit schwerer Arbeit auf Stavros’ Feldern und seine Abende
     in düsterer Stimmung zu Hause.
    Als Georgios aus seiner Werkstatt kam, fand er seinen Jüngsten vertieft in die Lektüre einer Ausgabe der
Stimme
, die Christakis am Nachmittag vorbeigebracht hatte. Er sah seine Frau erstaunt an, doch Dhespina schüttelte nur den Kopf.
    »Wo sind die Zwillinge?«, fragte Georgios.
    »Die sind wir heute Nacht los«, antwortete Dhespina. »Sie müssen ein paar Kisten an den Hafen von Ammochostos bringenund wollen wegen der Sperrstunde bei ihrem Vorarbeiter übernachten. Ich hab ihnen gesagt, dass das in Ordnung ist – ist es
     doch, oder?«
    »Ja, natürlich«, erwiderte Georgios, »die beiden sind schließlich keine Kinder mehr. Und wenn es Teil ihrer Arbeit ist, müssen
     sie gehen.« Er stellte das Radio an. Der Sprecher war Grieche, doch er las die Nachrichten auf Englisch:
     
    »… Zehntausende sind in Ungarn auf die Straße gegangen, um das Ende der sowjetischen Herrschaft zu fordern. Was als friedliche
     Demonstration begann, endete in Gefechten zwischen Polizei und Demonstranten, in deren Verlauf auch Schüsse gefallen sein
     sollen. Die Demonstranten fordern, dass der vorige Ministerpräsident wieder in sein Amt eingesetzt wird. Weitere Forderungen
     sind freie Wahlen, Pressefreiheit sowie der Abzug der sowjetischen Truppen …
    … Zypern: Im Dorf Lefkoniko fiel heute ein britischer Soldat einem barbarischen Anschlag zum Opfer. Der neunzehnjährige Mann
     kam gerade vom Fußballspielen und erfrischte sich an einem öffentlichen Brunnen, als eine zuvor dort platzierte Bombe detonierte
     und den Soldaten tötete sowie fünf weitere Personen verletzte. Dieser jüngste Anschlag der EOKA gilt als feiger Mord …«
     
    »Oh, stell das ab, Georgios, ich halte das nicht mehr aus!« Dhespina knallte die Ofentür zu und stellte das Lamm auf den Tisch.
     Es war jeden Tag das Gleiche: nichts als Mord und Totschlag. Jetzt war ein neunzehnjähriger Junge, so alt wie Michalakis,
     in Stücke gerissen worden, als er nach dem Fußballspielen seinen Durst löschen wollte. Keine Auseinandersetzung, kein Hinterhalt,
     nur ein harmloses Spiel.
    Dhespina löste das Fleisch vom Knochen und bat Loukis, die Zeitung wegzulegen. Während sie das Essen auf die Teller verteilte,
     hing die eben gehörte Nachricht unheilvoll in der Luft. Trotz ihrer Bemühungen, den Bericht zu verdrängen, hatte sie unentwegt
     das Bild von staub- und aschebedeckten Verwundeten und einem jungen Mann vor Augen, der sein ganzes Lebennoch vor sich gehabt hatte und nun reglos und mit herausquellenden Gedärmen auf dem Boden lag, getötet von einer Bombe, die
     ihre eigenen Landsleute gelegt hatten. Als sich Loukis schließlich wieder der Zeitung zuwandte, hatte seine Mutter das
kleftiko
auf ihrem Teller nicht einmal angerührt.
    Auch am nächsten Tag ließen Dhespina die Bilder, die sie sich von dem fußballspielenden Soldaten gemacht hatte, nicht los,
     und sorgten für eine gedrückte Stimmung. Sie war nervös und fahrig, und dann war da noch dieses beklemmende Gefühl, eine Art
     Vorahnung. Egal, womit sie sich beschäftigte, sie wurde ihre düsteren Gedanken einfach nicht los, musste wieder und wieder
     an den Jungen denken, der, bis zur

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