Schattentraeumer - Roman
und ärgerte sich über Praxis Versuch, sie vor Loukis wie eine Idiotin dastehen zu
lassen. »Es ist gefährlich. Die EOKA kämpft inzwischen überall.«
»Sie werden es wohl kaum auf drei harmlose griechische Schüler abgesehen haben, oder?«
»
Ex
-Schüler«, korrigierte Loukis.
»Gut, vielleicht nicht mit Absicht«, räumte Maria ein. »Aber sie könnten uns aus Versehen erwischen. Was, wenn plötzlich die
Besatzer um die Ecke kommen und alle anfangen zu schießen? Jedes Kind weiß, dass sich EOKA-Aktivisten in den Bergen verstecken.«
»Na, umso besser, dann haben wir bewaffneten Geleitschutz.« Praxi streckte sich rücklings im Gras aus, und Loukis lachte leise.
Maria lief vor Wut rot an. Seit man die beiden EOKA-Mitglieder gehenkt hatte, war der Krieg nun auch in Keryneia angekommen.
Im Monat zuvor war eine Bombe im Zollhaus explodiert, außerdem hatten EOKA-Kämpfer die Polizeiwache neben dem Gefängnis gestürmt
und dabei jede Menge Waffen und Munition gestohlen. Und vor gerade mal ein paar Tagen hatten sie einen Jungen aus der Gegend
hingerichtet, was ganz bestimmt noch schwerere Unruhen nach sich ziehen würde. Ganz egal, wann Maria momentan das Radio anstellte,
es wurde über irgendeine Katastrophe berichtet, die ihre Eltern quälte, und sie ertrug das nicht. Sie hatte Angst. Praxi wollte
vor Loukis vielleicht hart wie ein Kerl dastehen, aber Maria war ein Mädchen, und sie bekannte sich dazu. Es würde nicht mehr
lange dauern, dann würde Loukis so reif sein wie der Körper, in dem er steckte. Dann würde er Maria mit anderen Augen sehen,
und Praxi würde mit ihrer überheblichen Ich-bin-was-Besonderes-Nummer nicht mehr bei ihm landen.
»Also, ich finde, dass wir gerade eine riesengroße Dummheit machen«, erklärte sie.
»Herrgott noch mal, Maria, kapierst du überhaupt irgendwas?« Praxi stand auf, stemmte ihre Hände in die Hüften und funkelte
sie finster an. »Die EOKA bekämpft die Besatzer nicht nur, damit wir uns mit Griechenland vereinigen können, sondern um uns
alle, also alle Zyprer, zu retten. Die Briten richten ihre Hunde dazu ab, uns zu Tode zu beißen. Sie foltern unsere Männer,
indem sie auf ihre Genitalien einprügeln, und treten ihnen so in den Bauch, dass es keine Spuren hinterlässt. Sie quälen sie
mit glühend heißen Eisen und setzen sie unter Drogen, damit sie gestehen. Unschuldige Griechen, Maria, werden in ihrem eigenen
Land von Menschen gefoltert, die überhaupt kein Recht haben, hier zu sein! Und dein hübsches Gesicht wird dir rein gar nichts
helfen, wenn sie auch dich verhaften, weil du Griechin bist. Sie stechen Nadeln durch die Brüste derFrauen und legen sie auf Streckbänke aus Eis. Die Briten sind Monster! Vor ihnen solltest du Angst haben, nicht vor der
EOKA!«
»Und woher, bitte schön, weißt du das alles?«, fragte Maria herausfordernd.
»Von den Flugblättern, die mir Yiannis Christofi gegeben hat!«
Loukis sah auf. »Wann hast du denn Yiannis gesehen?«
»Ich weiß nicht, vor ein, zwei Monaten vielleicht, als du auf Stavros’ Feldern beschäftigt warst. Er kam vorbeigefahren …«
»Er hat ein Auto?« Marias Interesse war geweckt. Die meisten Jungs, die sie kannte, waren auf Eseln unterwegs – oder auf Fahrrädern,
falls es ihnen gelang, eine Erlaubnis von den Briten zu bekommen.
»Ja, so eine Schrottkiste …«
»Hast du mit ihm geredet?«, wollte Loukis wissen.
»Mit wem?«
»Mit Yiannis, natürlich.«
»Klar hab ich das.«
»Und worüber?«
Praxi sah ihn verwirrt an und schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, nichts besonderes. Er hat mich gefragt, ob ich mit ihm zum
Tanzen nach Keryneia gehe …«
»Er hat dich zum Tanzen eingeladen?« Loukis sprang auf. »Und was hast du geantwortet?«
»Mein Gott, Loukis. Was spielt denn das für eine Rolle? Er hat einfach nur EOKA-Flugblätter verteilt, und wir haben kurz geplaudert.«
»Es spielt eine verdammt große Rolle.« Loukis’ Gesicht verfinsterte sich, und Praxi begann zu stammeln. Maria lächelte, das
Unbehagen ihrer Freundin bereitete ihr sichtlich Freude.
»Ich hab gesagt, dass ich darüber nachdenken werde.«
»Na dann viel Spaß beim Nachdenken, Praxi. Komm Maria, ich bringe dich zurück nach Hause. Wir laufen an der Straße entlang,
das ist einfacher.«
Maria rappelte sich hoch und stolperte Loukis hinterher, der bereits davongestürmt war.
»Loukis! Jetzt sei doch nicht so verdammt kindisch!«, brüllte Praxi ihm hinterher, woraufhin er
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