Schattentraeumer - Roman
sich
dabei nur um vereinzelte Krawalle und Brandanschläge, nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir.«
»Im Grunde, ja«, bestätigte Michalakis, »aber vor ein paar Wochen gab es bei einer Explosion in Omorphita einen Toten und
mehrere Schwerverletzte. Es heißt, die Türken hätten sich versehentlich selbst in die Luft gesprengt, als sie gerade Bomben
für einen Einsatz gegen die Griechen bastelten, falls die EOKA wieder aktiv werden sollte.«
»Nicht noch mehr Bomben …«, brummte Marios. »Was ist nur mit dieser Insel los?«
»Das sind nur Gerüchte«, versicherte Michalakis seinem Bruder, doch Georgios fing seinen Blick auf und zog fragend eine Augenbraue
hoch. Michalakis antwortete nur mit einem Kopfschütteln.
»Will die EOKA etwa wieder aktiv werden?«, fragte Dhespina, als sie sich zu den anderen an den Tisch setzte.
»Die Briten halten das durchaus für möglich«, erklärte Michalakis. »Vor kurzem sind sie auf ›mögliche Beweismittel‹ dafür
gestoßen, wie sie es nennen: In der Nähe von Lefkosia haben sie große Mengen Patronen und mehrere kleinere Waffenverstecke
aufgespürt, und in Pafos wurden Rohrbomben gefunden.«
»Ob aktiv oder nicht, vor Eseln macht die EOKA jedenfalls keinen Halt«, bemerkte Marios.
»Das war ein Unfall«, versicherte Georgios seinem jüngeren Sohn.
»Erklär das mal Herrn Stavros«, entgegnete Marios mürrisch.
»Reich mir mal den Kebab«, bat Michalakis seinen Bruder. Er war es leid, immer nur über den Tod zu sprechen. Es gab so viel
mehr im Leben, und in seinem drehte sich momentan so ziemlich alles um eine junge Frau, die sich nur einen Steinwurf von ihm
entfernt befand. Die anhaltende Waffenruhe erlaubte ihm derzeit, häufiger in sein Heimatdorf zurückzukehren. Bislang war er
leider nicht über eine höfliche Konversation mit Maria hinausgekommen, doch er plante, sich bald Urlaub zu nehmen, um sie
so zu umwerben, wie eine Frau wie sie umworben werden sollte.
Als Michalakis allerdings am nächsten Tag in Lefkosia ankam, wurde er zu einer eilig einberufenen Pressekonferenz zitiert,
die ihm einen dicken Strich durch die Urlaubsrechnung machte.
Vor einer ganzen Meute von Reportern und Fotografen enthüllte der britische Generalstabschef scheinbar eindeutiges belastendes
Material, demzufolge die EOKA plante, wieder zu gewaltsamen Übergriffen zu schreiten. Mit vor Entrüstung bebendem blonden
Schnurrbart berichtete der Brigadegeneral von Dokumenten, die in einem Versteck in den Bergen entdeckt worden waren, zu dem
sie ein übergelaufener EOKA-Kommandeur geführt hatte. Die Unterlagen würden auf die Sprengung eines größeren Kraftwerks hinweisen,
auf den Überfall auf eine Polizeiwache sowie auf die Ermordung einer Reihe von Verrätern.
»Alles in allem wissen wir von über einhundert Personen, die auf der Abschussliste der EOKA stehen, falls und wenn die Kampfhandlungen
wieder aufgenommen werden sollten«, teilte der Brigadegeneral der Presse mit.
Mit einem Gefühl von Hoffnungslosigkeit, aber auch einer gehörigen Portion Wut im Bauch machte sich Michalakis später an seinen
Bericht.
Mühsam arbeitete sich Lella mit einem Sack Kartoffeln den Weg hinauf. Loukis und Stelios sprangen auf und eilten zu Hilfe.
AlsLoukis sich vorbeugte, um ihr die Last abzunehmen, hörte er, wie sein Hemd riss. Augenblicklich spürte er den kühlen Herbstwind
auf seinem Rücken.
»Mir scheint, wir müssen dir ein paar größere Hemden kaufen«, stellte seine Gasttante trocken fest.
»Bitte, tun Sie mir einen Gefallen, Frau Thedosias«, flehte Stelios sie an, »und besorgen Sie ihm bei der Gelegenheit auch
ein paar neue Hosen – seine sind so eng, dass es geradezu unanständig aussieht!«
»Denk nicht, dass uns das nicht auch schon aufgefallen wäre«, erwiderte Lella kichernd. »Der arme Demetris beginnt schon,
sich in seinem eigenen Haus unwohl zu fühlen.«
»Leute, bitte!«, protestierte Loukis.
Es war nun beinahe ein Jahr her, seit Loukis von zu Hause fortgelaufen war, um ein Mann zu werden, und auch wenn seine einzige
größere EOKA-Operation in einem Fiasko geendet hatte, so schien zumindest, was seine körperliche Entwicklung betraf, seine
Mission nahezu erfüllt.
»Kann ich euch Jungs mit einer Tasse Kaffee und einem Gläschen
zivania
locken?«, fragte Lella.
»Das können Sie in der Tat, Frau Thedosias«, antwortete Stelios. »Das können Sie in der Tat.«
Loukis lächelte. Er hatte Stelios mit der Zeit wirklich
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