Schattentraeumer - Roman
gutes Herz hatte, und als Ausgleich dafür, dass
er unwissend für ihre Verfehlungen geradestand, gelobte sie ihm Loyalität und Freundlichkeit.
»Ganz egal, was passiert, du sorgst dafür, dass es diesem Mann gutgeht!«, hatte ihre Mutter ein paar Tage nach ElpidasGeburt befohlen, nachdem Yiannis sie allein gelassen hatte, um sich um die Möbellieferung für das Café zu kümmern. Gehorsam
hatte Praxi versprochen, niemals etwas zu tun, was ihren Mann verletzen oder ihre Tochter enttäuschen könnte. Und so entschied
Praxi, Dhespina die Wahrheit vorzuenthalten, als sie überraschend zu Besuch kam und Elpidas Mund mit den Fingern abtastete
– auf der Suche nach winzigen Zähnchen.
»Ich erkenne dein Kind«, sagte sie zu Praxi.
»Dann wirst du auch erkennen, dass mein Kind einen liebevollen Vater, ein gutes Zuhause und die Chance auf ein geordnetes
Leben hat«, entgegnete Praxi kühl.
Mit Tränen in den Augen verließ Dhespina die Wohnung. Kurz darauf zog sie sich in ihr Gartenhäuschen zurück und gab eine Handvoll
Blütenblätter in einen Topf mit kochendem Wasser. Sie rührte einige Male um und atmete den Duft ein. Nach und nach begannen
sich ihre Nerven zu beruhigen, doch gegen den Schmerz der Gewissheit in ihrer Brust waren selbst die Rosendämpfe machtlos.
»Praxis Kind ist von Loukis«, teilte Dhespina später ihrem Mann mit.
»Hat sie das gesagt?«, fragte Georgios vorsichtig.
»Nein, aber die Kleine ist ein Abbild unseres Sohnes und außerdem spüre ich es.«
Georgios seufzte. Praxis plötzliches Interesse an dem Christofi-Jungen, die überstürzte Hochzeit, die frühe Geburt – alles
passte zu der Behauptung seiner Frau. Dennoch wusste er eines mit Gewissheit: Selbst wenn Elpida tatsächlich ihre Enkelin
war, sie beide hatten sich da nicht einzumischen.
»Ein Gefühl reicht nicht, um das Leben dreier Menschen zu zerstören«, wandte er so behutsam wie möglich ein. »Sollte es eine
Wahrheit geben, die ans Licht kommen soll, so wird sie ihren Weg finden. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, sie ans Licht zu
zerren. Versprich mir, dass du nichts Unüberlegtes tun wirst.«
»Was könnte ich denn schon tun?«, fragte Dhespina mit brüchiger Stimme. »Wenn ich sage, was ich weiß, stürze ich meineeigene Enkelin ins Unglück. Möge Gott mir verzeihen, aber ich könnte Loukis gerade umbringen!«
Georgios zog seine Frau liebevoll an sich. In diesem Augenblick kam Marios durch die Tür und ließ geräuschvoll seine Tasche
zu Boden fallen.
»Nicht ihr beide auch noch!«, stöhnte er.
»Wie?«, fragte Georgios und entließ Dhespina aus seiner Umarmung.
»Draußen am Tor steht Michalakis und schmachtet Maria an.«
»Ach ja?«, erkundigte sich Dhespina, dankbar für die Ablenkung.
»Ja«, bestätigte Marios und naschte an dem Kebab, der auf dem Tisch stand. Seine Mutter gab ihm einen Klaps auf die Finger.
»Nicos lässt euch übrigens schön grüßen.«
»Grüß ihn zurück«, erwiderten Dhespina und Georgios im
Chor und lächelten traurig.
Die Tür flog abermals auf, und fröhlich gesellte sich Michalakis zu ihnen. »Mein Gott, ich sterbe vor Hunger!«, verkündete
er.
»Michalakis«, rief Dhespina. »Wie oft soll ich dir noch sagen …«
»Entschuldige, Mamma«, beeilte er sich zu sagen. »Für eine Frau, die mehr Zaubertränke braut als eine Hexe, bist du allerdings
ganz schön gottesfürchtig.«
»Eine Hexe …«, wiederholte Marios kichernd. »Dann bist du also fertig mit deiner Freundin?«
»Wenn du damit meinst, dass wir fertig geredet haben, ja. Das hast du auffallend richtig beobachtet, wenn man bedenkt, dass
ich gerade hier sitze und dir in dein haariges Gesicht schaue.«
»Dann bleibst du zum Tanz morgen?«, rief Dhespina ihrem älteren Sohn aus der Küche zu.
»Nein. Ich hab Spätschicht. Ich muss vor drei zurück sein.«
»Na, Gott sei Dank«, sagte sein Vater. »Du verbringst mehr Zeit hier bei uns als in dem Zimmer, das du für teures Geld mietest.«
»Georgios!«, schimpfte Dhespina, entsetzt über die Blasphemie, mit der ihr Mann ihren Sohn aus dem Haus wünschte.
»Entschuldige, Dhespo«, erwiderte Georgios und zwinkerte seinem Sohn zu. »Und, woran wirst du morgen arbeiten?«
»An ein paar Berichten, entweder über das Anwachsen des türkischen Widerstands oder über die jüngsten Angriffe auf die Gewerkschaftler.«
»Dann gibt es also wirklich eine türkische Widerstandsbewegung?«, fragte Georgios überrascht. »Ich dachte, es handele
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