Schattenturm
presste die Hüfte gegen die Theke, um sich möglichst weit vorbeugen zu können. Dann warf er die restlichen Ringe, doch keiner seiner Würfe war ein Treffer.
»Das ist Betrug«, schimpfte er.
»Pass auf, was du sagst, Junge«, erwiderte die alte Frau zornig.
Duke kletterte über den Verkaufsstand. Die Frau wich entsetzt zurück und hob eine Hand, um sich den Jungen vom Leib zu halten. Duke schlug die Hand der Frau wütend zur Seite.
»Blöde Schlampe«, zischte er. »Untersteh dich, mich anzurühren.«
»Es ist drei Uhr«, sagte Onkel Bill. Er legte den Jungen die Hände auf die Schultern und zeigte auf ein niedriges Podium, auf dem ein großer dünner Mann in beigefarbener Kleidung stand und über ein dreieckiges Schild auf seinem Holztisch strich.
Bill, Duke und Donnie gesellten sich zu der Menge, die sich vor dem Tisch des Mannes gebildet hatte.
Der Mann klopfte auf ein kleines Mikrofon. »Tag, Leute«, sagte er. »Mein Name ist Len, und ich bin heute hier, um über den Wüstenbussard zu sprechen, einen in Nordamerika beheimateten Greifvogel.«
Onkel Bill nickte Duke lächelnd zu.
»Die wichtigsten Dinge zuerst«, sagte Len. »Der wissenschaftliche Name des Wüstenbussards ist Parabuteo unicinctus . Er ist ein Gleit- und Schwebeflieger, der in der Wildnis von Arizona und Mexiko bis hinunter nach Chile und Argentinien vorkommt. Ein Wüstenbussard ist mittelgroß und wiegt zwischen anderthalb und zweieinhalb Pfund. Das Weibchen ist größer und kräftiger als das Männchen.« Er ließ den Blick über die Gesichter seiner Zuhörer schweifen. »Man könnte sagen, diese Bussarde sind Wölfe mit Schwingen. Weiß jemand, was ich damit meine?«
Duke wusste es, doch er schwieg. Seine Augen strahlten.
»Das heißt«, sagte Len, als keine Antwort kam, »dass der Wüstenbussard gemeinsam jagt, so wie Wölfe oder Löwen. Das ist bei Greifvögeln äußerst selten. Zwei, drei oder mehr Bussarde arbeiten zusammen, wenn sie ihre Beute schlagen. Sie greifen mit militärischer Präzision an, wobei sie ganz genau wissen, was sie tun. Zuerst überfliegen sie das gesamte Gebiet, um ihre Beute ausfindig zu machen. Anschließend entscheiden sie sich für eine der verschiedenen Strategien, die es ihnen ermöglichen, ihre Beute mit vereinten Kräften zu schlagen. Zum Beispiel kann einer der Vögel die Beute aufscheuchen, um sich dann mit einem oder mehreren Partnern abzuwechseln und das Beutetier so lange zu jagen, bis es geschwächt und erschöpft ist, sodass einer der Vögel es ohne Mühe töten kann. Das Opfer hat keine Chance. Die Wüstenbussarde können mit ihren Krallen blitzschnell töten. Sie lassen die Beute erst wieder los, wenn sie sich nicht mehr bewegt. Denken Sie daran, dass der Wüstenbussard ein Raubvogel ist. Er kann eine Maus aus einer Meile Entfernung erspähen, wenn sie sich bewegt. Und er hat ein drittes Augenlid, das sich beim schnellen Flug über das Auge legt, um es vor Verletzungen zu schützen.«
Dukes Aufmerksamkeit war ganz und gar auf den dünnen, gebeugten Mann gerichtet, der seine Worte mit Handbewegungen untermalte.
»Sie werden kaum einen Vogel finden, der im Flug eleganter und majestätischer aussieht als der Wüstenbussard. Leider reden viele Falkner nur über die Anzahl der von ihren Vögeln geschlagenen Beutetiere. Aber darum geht es bei der Falknerei nicht ausschließlich. Für den Wüstenbussard und andere Greifvögel gehört das Töten zum Überleben.«
Nachdem Onkel Bill und die Jungen sich den Vortrag bis zu Ende angehört hatten, schlenderten sie davon.
»Erstaunlich, was?«, sagte Duke.
»Ja«, meinte Donnie.
»Tolle Sache, wie diese Bussarde zusammenarbeiten.«
»Wie ein richtiges Team.«
»Das könnten wir auch.«
»Aber wir sind doch schon ein Team.«
»Ja«, sagte Duke, »aber wir könnten viel mehr daraus machen. Wir könnten wie die Bussarde zusammenarbeiten und uns gegenseitig helfen, dass der jeweils andere kriegt, was er haben will.«
»Wie meinst du das?«
»Na, gemeinsam könnten wir fast alles bekommen, was man allein niemals kriegt. Erinnerst du dich, als wir die Bussarde zum ersten Mal gesehen haben? Als sie ihre Beute geschlagen haben?«
»Ja, aber das tun sie nur, um zu überleben«, sagte Donnie.
»Überleben – so ein Scheiß. Ich habe immer nur gekämpft, um zu überleben. Es wird Zeit, dass wir uns nehmen , was uns zusteht.«
Onkel Bills Blick glitt über die Auslage eines Verkaufsstandes, an dem Anstecknadeln angeboten wurden.
Bill nahm eine der
Weitere Kostenlose Bücher