Schattenwanderer
nicht erwartet. Erzählst du mir, was du erlebst hast?«
»Später«, murmelte ich. »Nachher. Weck mich, wenn es dunkelt.«
Nach diesen Worten schaffte ich es gerade noch, mich der dreckigen Kleidung zu entledigen, fiel aufs Bett und überließ mich dem lang ersehnten Schlaf.
Kapitel 13
Was die Schriften erzählen …
Das zärtliche Knistern, mit dem Seiten umgeblättert werden, vertrieb meinen Schlaf. Ich gähnte, streckte mich, öffnete jedoch nicht die Augen, sondern versuchte dem Schlaf wenigstens noch einen kleinen Krumen abzuringen.
»Du hast lange genug im Bett gelegen. Es ist schon Abend«, teilte mir For mit, sobald er gemerkt hatte, dass ich aufgewacht war.
»Dämmert es schon?« Ich gähnte noch einmal.
»Bald. Warum? Willst du schon wieder losziehen?« Die Stimme meines Lehrers klang leicht amüsiert.
Sollte sein nichtsnutziger Schüler nach einem Ausflug ins Geschlossene Viertel etwa noch zu weiteren Taten aufgelegt sein?
»Hmm«, brummte ich, vertrieb den Nebel des Schlafes endgültig und öffnete die Augen.
For thronte in seinem Lieblingssessel, mit einem der Folianten auf den Knien, die ich aus dem Turm des Ordens mitgebracht hatte. Das zweite Buch und die Schriftrollen lagen neben ihm auf dem Tisch für die Papiere.
»Ich habe mir erlaubt, deine Kleidung wegzuschmeißen. Die hätte nur noch ein Bettler getragen, und selbst der hätte sich geschämt. Auf dem Stuhl liegt neue. Ich nehme an, die dunkle Farbe entspricht deinen Vorstellungen?«
Rhetorische Fragen ließ ich generell unbeantwortet. For wusste genau, dass man nachts am besten in dunkler Kleidung arbeitete. Und die – warum das verhehlen? – damit auch am sichersten war. Nur ein Wahnsinniger würde ein weißes Hemd anziehen, um in das Haus eines reichen Mannes einzudringen, auf dass dieser ihn aus hundert Yard Entfernung bemerkt, ihm ordentlich den Kopf wäscht und anschließend mit einer Klinge den Hintern kitzelt.
Die Kleidung passte, nur das Hemd war in den Schultern etwas eng, aber das konnte man vernachlässigen. Als mein Blick auf den gedeckten Tisch fiel, knurrte mir prompt der Magen.
»Der nächtliche Ausflug hat deinen Appetit offenbar nicht geschmälert, folglich sollten wir wohl etwas zu uns nehmen und Sagoth für diesen weiteren Tag in unserem Leben preisen.« For legte das Buch zur Seite und erhob sich.
»Seit wann liest du magische Bücher?«
»Ich habe sie nicht gelesen«, erwiderte For. »Ich habe die Ware nur flüchtig geschätzt. Ein paar Hunderter kannst du für die beiden Bücher gewiss bekommen. Ich könnte dir einen Käufer empfehlen, ganz habe ich meine alten Beziehungen noch nicht verloren.«
»Zurzeit brauche ich nicht so dringend Gold«, sagte ich, während ich am Tisch Platz nahm.
Die letzte Strahlen der untergehenden Sonne bohrten sich wie warme Piken durch das aparte Holzgitter vor den Fenstern und fielen auf mein Gesicht. Der abendliche Himmel färbte sich mit dem Furor von Stahl purpurrot ein. Doch schon bald würde sich der Furor legen und der Ruhe der schwarzen Nacht weichen.
»Aber bewahre du sie für den Notfall für mich auf. Vielleicht muss ich die Bücher irgendwann verkaufen.«
»Gut«, sagte For.
Die Sache hätte auch für ihn Vorteile, er bekäme zwölf Prozent des Verkaufspreises. Und Geld konnte der Tempel Sagoths immer brauchen.
»Wie setzt du dich eigentlich zu Tisch? Wasch dir wenigstens die Hände, du Schwein!«
»Ich habe meine Hände gewaschen, wirklich«, brummte ich, erhob mich aber trotzdem und ging zum Waschbecken.
Ich sah in der Tat ziemlich verdreckt aus und hätte mich waschen sollen.
»Rasier dich auch gleich!«, verlangte For. »Du siehst aus wie ein Bandit, mein Junge!«
Unwillkürlich fuhr ich mit der Hand über meinen Dreitagebart. »Das geht auch so. Ich besuche schließlich nicht den Ball des Königs!«, knurrte ich.
Als ob ich Zeit für solchen Unfug wie eine Rasur hätte! Auf mich wartete schließlich noch eine ganze Bande von Pferdeliebhabern!
»Du musst es ja wissen. Jetzt erzähl, was du erlebt hast. Du bist der einzige Mensch, der je so weit ins Verbotene Viertel vorgedrungen ist. Damit hast du mehr zu bieten als Gerüchte. Dieses Wissen müsste eigentlich in einer Chronik für zukünftige Generationen festgehalten werden.«
»Bist du jetzt auch noch unter die Chronisten gegangen? Was man nicht so alles über seinen alten Lehrer erfährt!«, sagte ich, als ich an den Tisch zurückkehrte.
»Das alte Wissen verschwindet aus unserer Welt.
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