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Schattenwanderer

Schattenwanderer

Titel: Schattenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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erzürnte Bolzen nicht. Wer weiß, womöglich erlitt er einen Herzanfall, wenn er sah, dass ich mich seinen kostbaren Büchern mit einem offenen Feuer näherte.
    »He, Bolzen! Ich bin’s, Garrett!«, schrie ich, und meine Stimme hallte von der Kuppeldecke wider, schlug gegen die Wände und verlor sich zwischen den Büchern und Regalen.
    Stille. Der Alte musste tatsächlich einen über den Durst getrunken haben und jetzt unter irgendeinem Tisch schnarchen.
    »Bolzen! Bist du hier?«
    Langsam ging ich an den Regalen entlang und hielt nach der buckligen Figur Ausschau. Auf den Steinplatten, mit denen der Boden der Bibliothek ausgelegt war, dröhnten meine Schritte dumpf. Niemand. Stille. Halbdunkel. Hier könnte man Jahrtausende zubringen und nicht eine lebende Seele antreffen. Ich wandte mich nach rechts, zu dem Verschlag, wo ich beim letzten Mal die Bücher studiert hatte. Das war ein Ort, wie geschaffen, um sich die eine oder andere Flasche Wein zu genehmigen. Wenn der Alte nicht da war, musste ich in den Gang zurückkehren, der zu den Räumen für die Dienstboten führte, und dort seinen Unterschlupf suchen.
    Zwischen den Regalen gab es keine Lampen, und ich fand mich mehr oder weniger im Dunkeln wieder. Mir kam der Gedanke, zurückzugehen und mir eine der Lampen zu holen, die an der Wand neben dem Eingang hingen. Aber dann entdeckte ich ein Licht. Ich fand, was ich gesucht hatte.
    »Bolzen!«, schrie ich.
    Auf einem der Tische stand die hell brennende Lampe, deren Licht ich bemerkt hatte. Sie befand sich in trauter Gesellschaft mit einer Flasche Wein, einem angeknabberten Stück Brot und einem Bund Frühlingszwiebeln. Die Flasche war bis auf den Bodensatz leer. Der Besitzer der Flasche lag mit dem Kopf unterm Tisch auf dem Boden, das Gesicht nach unten, in einer Lache vergossenen roten Weins. So könnte er doch glatt ersticken!
    Ich brummelte etwas Unbotmäßiges über gewisse Leute, die es liebten, sich stets zur Unzeit die Kante zu geben, und trat an den schlafenden Trunkenbold heran, wobei ich im Kopf rasch alle Möglichkeiten durchspielte, wie ich Bolzen nüchtern bekäme, damit ich mit ihm sprechen konnte.
    »Bolzen! Ich bin’s. Steh auf!« Ich beugte mich über ihn und schüttelte ihn an der Schulter. »Wie kann man nur so …«
    Ich ließ meinen Satz unvollendet, denn mit einem Mal fiel mir etwas ziemlich Ekelhaftes auf: Bolzen atmete nicht mehr. Und er lag auch nicht in einer Weinpfütze, wie ich zunächst angenommen hatte, sondern in einer Blutlache. In seinem eigenen Blut.
    Behutsam drehte ich den Alten auf den Rücken. Ja, kein Zweifel, irgendein Schwein hatte dem armen Kerl die Kehle von einem Ohr zum andern aufgeschlitzt. Der Körper des Alten war noch warm, es trat auch immer noch Blut aus. Folglich musste der – oder mussten die – Mörder vor gar nicht allzu langer Zeit hier aufgetaucht sein. Möglicherweise sogar erst, als ich die Bibliothek betreten hatte. Oder danach. Sie dürften also auch noch nicht weit gekommen sein, vielleicht erwischte ich sie sogar in der nächsten Straße. Gerade als ich diesem Impuls nachgeben wollte, meldete sich die Stimme der Vernunft zu Wort, um meinen Rachedurst und meinen Wunsch nach Gerechtigkeit zu dämpfen. Der Herr war mir auch diesmal zuvorgekommen, ich würde nicht mehr erfahren, wessen Ring Rostgish und Snapper Bolzen gezeigt hatten. Und unbekannten Mördern hinterherzurennen, bei denen es sich keineswegs um Menschen handeln musste, war nicht sonderlich klug. Denn dass hinter dieser Geschichte die Handlanger des Herrn standen – daran zweifelte ich keine Sekunde.
    Ich schloss dem Alten die Augen und stand auf. Für ihn kam jede Hilfe zu spät. Er tat mir leid, dieser grantige Alte, den ich in mein Herz geschlossen hatte.
    Vom Körper weg schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch eine Blutspur tiefer in den Saal hinein. Offenbar hatte man Bolzen gar nicht hier ermordet. Aber wozu hatte man ihn hier hergeschleift? Wäre es nicht einfacher gewesen, ihn zwischen den Regalen liegen zu lassen? Seltsam … Ich nahm die Lampe vom Tisch und folgte der Spur. Ha! Ich hatte noch keine zwanzig Schritt gemacht, da stieß ich auf eine zweite Leiche.
    Diesen finsteren Gesellen kannte ich. Es war einer von denen, die Roderick und mir gestern diese nette Überraschung bereitet hatten. Aber diesmal hatte der Kerl kein Glück gehabt, hatte nicht mehr fliehen können. Aus der Brust des Schurken ragte Bolzens Messer. Der Alte hatte sein Leben teuer verkauft,

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