Schattenwanderer
schwieriger war es, vom Fenster ins Zimmer zu springen, stellten sich mir doch einige Porzellankannen mit Blumen in den Weg. Um einen Zusammenstoß mit den tönernen Hindernissen zu vermeiden, hatte ich wahre Wunder an Akrobatik zu vollbringen, fast wie einer jener Artisten, die auf dem Marktplatz auftreten.
Gosmo musste seinen fünften, vielleicht auch seinen siebten Traum träumen und fällte gerade einen ganzen Wald. Er schlief so tief und fest wie ein unschuldiges Kind. Ich konnte nur den Kopf schütteln. Das heißt es, ein reines Gewissen zu haben und sich seiner Haut völlig sicher zu sein!
Auf Zehenspitzen schlich ich ans Kopfende und schob behutsam die Hand unters Kissen. Genau! Meine Finger stießen auf etwas Kaltes. Freund Gosmo war doch nicht so dumm und unschuldig, wie ich gedacht hatte. Unter seinem Kopfkissen hielt er eine solide Klinge bereit! Es musste schrecklich unbequem sein, darauf zu schlafen – aber bestimmt beruhigend. Ich zog die Klinge nicht hervor, das wäre zu umständlich gewesen und hätte doch nichts genützt. Außerdem glaubte ich nicht, dass Gosmo sich zu einer Dummheit hinreißen ließe.
Genauso leise trat ich wieder von dem Schlafenden weg, nahm ein paar Kleidungsstücke von einem Sessel und setzte mich. Garretts Eindringen in den Wohnraum Gosmos wollte wirkungsvoll gestaltet sein, das verdiente der Schankwirt. Insofern sollte ich mir etwas einfallen lassen, um mich an dem gemeinen Verräter zu rächen. In dem Augenblick beschwor Sagoth in mir die Erinnerung herauf, vor fünf Jahren, als ich Gosmos Zimmer schon einmal betreten hatte (gut, damals war ich durch die Tür gekommen), an einer Wand ein schweres, mit Silberintarsien verziertes Jagdhorn gesehen zu haben. Ein Anblick, der das Auge freute. Und nicht nur das Auge. Auch für den Geldbeutel war es nicht schlecht, denn solch Kleinod brachte etwas über vierzig Goldmünzen ein. Ich stand auf, trat zur Wand und ertastete nach dem Verfahren »Versuch und Irrtum« das Horn, das die Ehre haben sollte, bei Gosmos Erweckung die Hauptrolle zu spielen.
Ich ging zum Sessel zurück, nahm die Armbrust vom Rücken und setzte mich, die Waffe auf den Knien. Ehrlich gesagt, ich musste an mich halten, um nicht lauthals loszulachen, sobald ich mir Gosmos Visage vorstellte, wie er vom Ruf des Horns geweckt wird. Ich machte mir übrigens keine Sorgen, sonst noch jemanden aus dem Schlaf zu reißen. Gosmo vermietete keine Zimmer, also gab es auch keine Kundschaft, und die Türsteher gingen nach der Schicht nach Hause. Wir waren allein in der Schenke, und die Bewohner der umliegenden Häuser hatten schon ganz andere Sachen erlebt. Genauer: gehört.
Gut, es wurde Zeit, die Sache anzugehen. Ich setzte das Horn an die Lippen, holte tief Luft und blies. Was für ein Geräusch! Selbst ich hatte nicht damit gerechnet! Der Zorn einer Berglawine, vermischt mit dem Jammern eines wahnsinnigen Riesen, donnerte durchs Zimmer, hallte von den Wänden wider und schallte in den Ohren mit dem vielstimmigen Brüllen ergrimmter Götter!
Gosmo brach sein Schnarchkonzert jäh ab, flog zusammen mit dem Oberbett ein ganzes Yard in die Luft und sah sich, kaum gelandet, nach allen Seiten um, viel zu schlaftrunken, als dass er begriffen hätte, was hier vor sich ging. Ich gestattete mir das Vergnügen eines herzlichen Lachanfalls.
»Wer ist da?«, schrie Gosmo, der sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt hatte und nur das offene Fenster sah.
Seine Hand glitt wie eine Schlange unter das Kopfkissen.
»Garrett.«
»Garrett? Du?« Gosmo traute seinen Ohren nicht, erstarrte jedoch und wagte es nicht einmal, die Klinge hervorzuziehen.
»Ja, ich. Du kannst dich ruhig wieder bewegen. Ich werd dich schon nicht fressen. Und zünde eine Kerze an!«
Die Hände des Schankwirts zitterten dermaßen, dass er mehrere Anläufe brauchte, die Kerze zu entzünden. Der alte Gauner saß mit vor Furcht geweiteten Augen auf dem Bett. Mich nahm er nur als Schatten im Sessel wahr, als verschwommene Kontur an der Grenze zwischen Licht und Dunkel. Denn der Schein der Kerze erreichte mich nicht, wurde auf halbem Weg von der Dunkelheit gefressen.
»Bist du wieder Herr deiner Stimme?«
»Garrett, du bist es wirklich!«
»Freut mich, dass du mich erkennst. Und jetzt wollen wir uns mal unterhalten!«
»Worüber?« Gosmo sah böse und zugleich völlig konsterniert aus.
»Es gibt da eine Sache. Ich habe viel darüber nachgedacht …«
»Das kann dir nur guttun«, blaffte Gosmo mich an.
Die
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