Schattenwanderer
auch deine Sachen. Der Zwerg hat sie zusammen mit dem Ring gebracht.«
Also musste Honhel alles, was ich gestern Abend nicht selbst mitgenommen hatte, schon hier abgegeben haben. Ich trottete dem Narren gottergeben hinterher. Er würde mir heute nicht mehr von der Pelle rücken, erst morgen würde es mir vergönnt sein, dem grünen Kerlchen zum Abschied zuzuwinken.
»Wir müssen auch noch beim Waffenschmied vorbei und ein schönes Schwert sowie ein Kettenhemd für dich aussuchen.« Kli-Kli barst förmlich vor Tatendrang.
»Darauf kann ich verzichten.«
»Typisch!« Der Kobold schnitt mir eine Grimasse. »Und was missfällt dem Herrn diesmal?«
»Ich brauche ein Schwert so dringend wie eine Wasserleiche einen Strick zum Erhängen. Ich kann nämlich nicht mit einem Schwert umgehen. Mir, mein lieber Narr, reicht das hier.« Ich klopfte mit der Hand gegen die kurze Klinge an meinem Schenkel und hielt dem königlichen Stumpfhirn meine Armbrust unter die grüne Nase.
»Wie du meinst.« Dem Narren war die Lust vergangen, sich mit mir zu streiten. »Dann suchen wir eben nur ein Kettenhemd für dich aus.«
»Ich bin nicht Alistan Markhouse, Kli-Kli! Ich habe nicht die Absicht, mich in den Ausstoß eines ganzen Gnomenschachts zu werfen!«
»Reg dich nicht auf! Wir finden ein schönes, leichtes Kettenhemd für dich.« Der Kobold kannte kein Erbarmen.
»Ich will kein Kettenhemd! Das ist unbequem! Außerdem hab ich nicht vor, mich auf irgendwelche Abenteuer einzulassen!«
»Garrett!« Der Narr zeigte mit dem Finger auf mich. »Du bist ein fader und langweiliger Kerl!«, urteilte er.
Wenigstens einmal waren der Kobold und ich einer Meinung.
Kapitel 19
Die Nacht im Palast
Mein Glück hatte sich in der letzten Zeit auf die unerzogenste Weise von mir abgewandt. Deshalb wunderte es mich in keiner Weise, dass es mir in der letzten Nacht vor meinem Aufbruch nicht gelingen wollte einzuschlafen. Ich stöhnte, verwünschte alles und jeden, drehte mich auf den Rücken und starrte an die Decke. Der feige Schlaf floh mich wie ein Gesunder den Aussätzigen.
Anfangs meinte ich noch, ein Streich des Kobolds halte mich vom Einschlafen ab. Aber der kleine Narr schlummerte friedlich irgendwo in seinem Zimmer, völlig erschöpft, nachdem er sich den lieben langen Tag mit mir geplagt hatte. Nämlich damit, Garrett Reitunterricht zu erteilen und ihm beim königlichen Waffenschmied ein Kettenhemd auszusuchen. Danach war Kli-Kli immerhin mit einem triumphierenden Lächeln abgezogen.
Dann hörte ich die Geräusche. Sie kamen aus einem Raum im ersten Stock des Palasts. Und es waren auch nicht einfach Geräusche, sondern Schreie. Inzwischen schon viel lauter. Schreie, die sich mit Waffenklirren abwechselten – was alles andere als beruhigend war. Zunächst hielt ich die Ruhestörer für die üblichen Saufköpfe, die, angeführt von Stalkons jüngerem Sohn, von einem nächtlichen Zug durch die Schenken heimkehrten. Dann wurde mir jedoch klar, dass es in den Gängen des Palasts eine Schlägerei gab. Aber wer gegen wen? Und warum?
Ich versuchte, im Dunkeln in meine Hosen zu schlüpfen und gleichzeitig die Armbrust auf dem Stuhl sowie die Tasche mit den Bolzen zu ertasten. Vor dem Palast erklangen Hörner, die die Gardisten zu den Waffen riefen. Erst war es nur eins gewesen, dann war ein zweites eingefallen, kurz darauf wurde im ganzen Königspalast Alarm geblasen.
Endlich hatte ich meine widerspenstigen Hosen bezwungen und stürzte mich mit der Armbrust in der Hand ans Fenster. Davon, ein Licht zu entzünden, konnte keine Rede sein, das hätte zu viel Zeit gekostet. Ich musste die Armbrust bei Sternenlicht laden. Sicher, ich schaffte das auch in völliger Dunkelheit, aber ich wollte auf gar keinen Fall einen gewöhnlichen Bolzen mit einem der magischen verwechseln.
»Alarm!«, verkündeten die Hörner. »Alarm!«
Menschen mit brennenden Fackeln rannten herbei. Aus irgendeinem Grund brannte nicht eine der magischen Lampen, mit denen der Orden das Palastgelände ausgestattet hatte. Direkt unter meinem Fenster liefen einige Gardisten vorbei, zwei von ihnen trugen einen Verletzten. Etwas weiter entfernt bewegte sich eine Einheit von Soldaten in die entgegengesetzte Richtung. Die Spitzen ihrer Lanzen funkelten bedrohlich im zitternden Licht der Fackeln.
Zwei menschliche Schatten hechteten aus dem Palast heraus und rannten tief in den Garten hinein. Von den Gardisten der ersten Einheit bemerkte jemand die Flüchtlinge. Die Soldaten
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