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Schattenwanderer

Schattenwanderer

Titel: Schattenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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Tisch, in dem bereits zwei brannten. »Was auch immer da unten haust, es hat diesen Mann nicht angerührt.«
    »Es liegt wenig Freude darin, den Verstand verloren zu haben, aber am Leben zu sein«, murmelte ich. »Wir haben den Schlüssel, das ist fabelhaft. Doch warum erzählt Ihr mir ausgerechnet jetzt davon?«
    »Nachher werden wir keine Zeit mehr dafür haben. Oder keine Kraft. Oder keine Gelegenheit.« Ell hörte endlich mit der Apfelschälerei auf und kam zu mir. »Der Schlüssel ist kein Spielzeug. Um die Flügeltore zu öffnen, muss er dir angepasst werden. Er muss dir gehorchen.«
    »Wunderbar«, brachte ich ohne jede Begeisterung hervor.
    Halt dich von den Zauberern fern! Das war eine meiner zahllosen Devisen.
    »Alles ist schon vorbereitet. Nimm ihn an dich!« Miralissa streckte mir den Schlüssel erneut hin, ungeachtet meiner Sauerbiermiene.
    Ob ich dem Ganzen nun zustimmte oder nicht, die Elfen würden jetzt ein wenig zaubern. Wenn ich mich sträubte, brachten sie womöglich etwas durcheinander, und dann würde ich bis ans Ende meiner Tage mit Hörnern auf dem Kopf oder mit noch Schlimmerem herumlaufen.
    Also nahm ich den Schlüssel an mich.
    »Setz dich aufs Bett!« Egrassa zündete eine weitere Kerze an, die er diesmal ans Kopfende des Bettes stellte. »Mylord Alistan, wäret Ihr so liebenswürdig, uns allein zu lassen, während wir den Schamanenzauber wirken?«
    Widerspruchslos verließ der Graf das Zimmer und schloss die Tür fest hinter sich.
    »Worauf wartest du, Garrett? Aufs Bett!« Die Elfin holte aus ihrer Reisetasche ein Bündel getrockneter Kräuter.
    Im Zimmer breitete sich das süßliche Aroma von Sumpfpflanzen und spätem Herbst aus. Ich setzte mich aufs Bett, Ell trat mit einer Schale an mich heran und steckte den Finger in die Flüssigkeit hinein, um mir anschließend auf Stirn und Wangen Zeichen zu malen. Flüsternd warf Miralissa die zerstoßenen Kräuter über der Flamme am Bett in die Luft. Aus irgendeinem Grund segelten sie sehr langsam wieder nach unten. Sobald sie auf die Kerzenflamme trafen, loderten sie kurz auf, stießen eine Säule feinen weißen Rauchs aus und erloschen.
    Das war er also, der Schamanismus der dunklen Elfen. Geflüster, Tänze, Figuren und allerhand Mist wie getrocknete Fledermausscheiße. Sicher, manchmal brachte der Schamanismus etwas zuwege, das Zauberei nie schaffen würde, denn die alte Magie konnte sehr, sehr stark sein. Aber um welchen Preis! Eine einzige falsch ausgesprochene Silbe, eine Kleinigkeit, die fehlte, und vor allem die lange Vorbereitungszeit, um den Zauber zu wirken – all das bringt den Schamanismus beim Vergleich mit der Zauberei ins Hintertreffen. Die Elfen, die das verstanden haben, wurden zu den lichten, die anderen hängen bis heute genau wie Orks, Kobolde und Oger dem alten Wissen an und beharren stur auf ihrem wenig wirksamen Anachronismus, wie die Magier des Ordens es ausdrücken. Ich bin übrigens davon überzeugt, dass auch die Zauberei eine Kehrseite hat, einen Schwachpunkt, über den sich der Orden jedoch höflich ausschweigt.
    Inzwischen flüsterte Miralissa nicht mehr, sondern sang. Ihre tiefe Altstimme erhob sich gleich einer Spirale von Wörtern in die Luft. Und dieser Gesang bezauberte. Obwohl im Grunde recht grob, glich das Orkische, genauer der Elfendialekt (die Elfen waren zu stolz, um die Sprache der Orks zu benutzen) einem Gebirgsbach. Das Murmeln klang angenehm. Die Elfin sang und näherte sich mir. Im Raum gab es nur noch mich, sie und ihre Stimme. Egrassa und Ell hatten sich irgendwohin zurückgezogen, waren zu einem der vielen Schatten geworden, die von allen Seiten über mich herfielen.
    Die Stimme, die Schatten, die Augen. Die goldschimmernden Augen Miralissas, in denen die Zungen eines bernsteinfarbenen Feuers loderten. Sie saugten mich auf, trugen mich in ferne Orte und Zeiten. Die beiden mandelförmigen Augen füllten das ganze Zimmer. Mein Gesicht erglühte an den Stellen, auf denen Ell die Zeichen aufgemalt hatte, und auch der Schlüssel in meiner geballten Faust wurde heißer und heißer. Die Zimmerwände gingen in Flammen auf, barsten, fielen in unterschiedliche Richtungen auseinander und flogen wie brennende Fahnen in die endlose Dunkelheit. Ich schrie auf, suchte mit meinen Füßen vergeblich nach einer Stütze und breitete die Arme in dem irrsinnigen Versuch aus, mich in die Luft zu erheben. Das Dunkel explodierte im Feuer. Die wütende Flamme, die das Dunkel gebar, stürzte sich von allen Seiten auf

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