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Schattenwanderer

Schattenwanderer

Titel: Schattenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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ein Menschenleben nicht aus. Die Regale aus schwarzer Sagraba-Eiche ragten bis unter die kuppelförmige Decke auf und verschwanden irgendwo im Dunkel, welches nicht einmal das Licht, das durch die hohen spitzbogigen Fenster strömte, zu vertreiben vermochte. Hunderte, Tausende von Büchern standen auf diesen Regalen und bewahrten auf vergilbten Seiten das Wissen Abertausender von Generationen aus Siala. Ein Handgriff – und schon fand man sich in einer anderen Welt wieder, tauchte ein in die graue Vorzeit. Es gab Bücher, die von halbblinden Priestern geschrieben worden waren, die neben der im Wind zuckenden Flamme einer Kerze saßen, Folianten von Elfen, die ihre Werke nur bei Vollmond verfassten, wenn das schwarze Wasser der Isselina träge über die Wurzeln gigantischer Bäume floss und das gelbe Licht des Himmelskörpers zurückwarf. Es gab Bücher von Gnomen, die zunächst auf Tontafeln schrieben, später auf hauchdünnen Metallplatten und schließlich die Druckerpresse erfanden, die heute in den Stählernen Schächten sicher versteckt war, Bücher von den Zauberern der Menschen, Bücher von den größten Geistern Sialas und solche von gänzlich einfältigen Köpfen. Bücher zur Geschichte, Kultur, zum Kriegswesen, über die Welt, die Magie, den Schamanismus, das Leben, den Tod, die Götter, die Menschen, Elfen und Hunderte von Lebewesen und andere Geschöpfe, über Tausende von Sternen und Sagoth weiß was noch alles. Alles Wissen der Welt war in dieser alten Bibliothek zusammengetragen worden, deren Grundlage die Bibliothek von Ranneng bildete, die vor knapp neunhundert Jahren erbaut worden war.
    »Oho!«, stieß ich begeistert aus, während ich, den Kopf in den Nacken gelegt, im Halbdunkel zu erkennen versuchte, wo die Mauern des Wissens endeten.
    Früher bin ich nie in Bibliotheken gewesen, von einigen privaten vielleicht abgesehen, denen ich einige seltene Bücher für andere, nicht weniger leidenschaftliche Literaturliebhaber dauerhaft entliehen habe.
    »Gut gesprochen: oho!«, erwiderte der Alte so stolz, als hätte er selbst all diese Bücher verfasst. »Was brauchst du denn, du Rabauke?«
    »Habt ihr alte Pläne der Stadt?«, fragte ich den grantigen Bibliothekswächter.
    »’n paar werden schon da sein«, nuschelte er.
    »Ich brauche Pläne von dem Teil, der heute als Geschlossenes oder Verbotenes Viertel bezeichnet wird. Außerdem Pläne und überhaupt alles, was du zu Hrad Spine findest.«
    Der Alte pfiff und schnalzte ein paar Mal mit den Fingern, wobei er nachdenklich etwas in meinem Rücken anzustieren schien, bevor er die wässrigen hellen Augen auf mich richtete: »Bist du närrisch, Freundchen? Willst du mich auch noch um ’ne Karte bitten, wo du die Schätze der Zwerge oder Gnome finden kannst? Ohne deinen Ring würde ich dich achtkantig rauswerfen und dir die Stadtwache auf den Hals hetzen. Versteh sowieso nicht, warum plötzlich alle Welt hinter Schriften her ist, die der Orden für geheim erklärt hat. Man rennt mir regelrecht das Haus ein! Was ist, gehen wir?« Der Alte drehte mir den Rücken zu und schlurfte an den Regalen vorbei in das mysteriöse Innere der Bibliothek.
    »Und wer rennt dir das Haus ein?«, fragte ich.
    »Du, zum Beispiel. Was bist du? Ein Archiloge? Habt ihr alle kein Zuhause? Oder kein Mädchen?«
    »Und wer noch?«
    »Gerade gestern waren welche da«, knurrte der Alte verärgert, ohne sich nach mir umzudrehen. Er brachte mich in einen kleinen Raum mit einer schweren geschmiedeten Tür.
    »Welche von deinem Kaliber. Genauso unauffällig, und viele Worte haben sie auch nich’ gemacht. Das war gestern Abend. Die haben mir auch ebenso ‘nen Ring unter die Nase gehalten, der sah zwar anders aus, aber auch wichtig. Kannst mir glauben. Alter, sagen sie, zeig mal die Pläne von der Stadt. Vom Verbotenen Viertel. So närrisch wie du waren sie aber nich’. Nach Hrad Spine wollten die nämlich nich’. Wart mal, ich muss erst aufsperren. Da wär’n wir.«
    Der Alte hantierte mit dem massiven Schlüsselbund, den er aus seiner Hose gezogen hatte, und öffnete fluchend das quietschende Schloss. Währenddessen versuchte ich krampfhaft, mir darüber klar zu werden, woher wohl dieses plötzliche Interesse am Geschlossenen Viertel rührte. Hatte der König außer mir noch jemanden mit der Sache beauftragt? Traute er mir die Aufgabe doch nicht zu? Standen die Leute bei jemand anderem in Dienst? Zum Beispiel beim Unaussprechlichen? Mich überzog Gänsehaut. Verdammt noch mal!

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