Schattenwanderer
führten zu meinem verletzten und angekokelten Freund Bleichling, der aber immer noch unter den Lebenden weilte. Und folglich zur Gilde der Diebe und zu Markun. Wahrscheinlich hatten sie sich das Pferd unter den Nagel gerissen und mich angeschwärzt. In dem Augenblick bemächtigte sich meiner Person eine ebenso geniale wie wahnsinnige Idee.
»Ich gebe euch das Pferd zurück, aber nicht jetzt. Erst später.«
»Wann?«
»Übermorgen Nacht.«
»Wann?« Der Bock war einfach zu dumm, um »übermorgen« und »Nacht« unter einen Hut zu bringen.
»Jetzt haben wir Nacht. Morgen kommt wieder eine Nacht, danach noch eine, und in der bekommt ihr den Stein zurück.« Alles musste man denen vorkauen. »Also am Mittwoch. Weißt du, wo das Messer und Beil ist?«
»Nein, meck.«
»Du wirst es schon herausfinden. Komm einfach übermorgen dahin. Genau um Mitternacht. Bring deine Freunde mit. Dort bekommt ihr den Stein. Genau um Mitternacht, merk dir das, keine Minute später, keine Minute früher. Sonst könnt ihr das Pferd vergessen. Klar? Oder soll ich es noch mal wiederholen?«
»Glok hat verstanden.«
»Wunderbar. Jetzt nehme ich das Messer weg, und du verziehst dich. Aber eine falsche Bewegung – und du hast einen Armbrustbolzen im Rücken.«
»Verstanden.«
Wer sagts denn! Und da heißt es immer, diese Kreaturen seien kreuzdämlich! Stimmt ja gar nicht! Man muss ihnen nur alles in kleinen Portionen vorsetzen. Ich nahm das Messer weg und sprang schnell ein paar Schritte zur Seite, während ich gleichzeitig die geladene Armbrust vom Rücken nach vorn zog. Der Doralisser rührte sich nicht.
»Du kannst gehen. Richte deinem Anführer aus, was ich gesagt habe.«
Der Bock drehte sich vorsichtig um, erblickte die Waffe in meinen Händen und nickte. Er sah allerdings nicht sonderlich glücklich aus.
»Wir warten auf dich, meck, Garrett. Täusch uns nicht, meck, sonst bist du ein toter Mann.«
Der Doralisser entschwand in die Nacht. Ich lauschte seinen Schritten nach, nahm zum dritten Mal in dieser Nacht das Bündel mit dem Fleisch auf, band es rasch an meinem Gürtel fest und rannte zur Mauer, wobei ich darauf achtete, nicht in das Blut zu treten, das nach der Auseinandersetzung zwischen Menschen und Doralissern noch nicht eingetrocknet war. Der Rest war eine Frage der Technik. Ich sprang und hakte mich am Rand der Mauer fest, zog mich hoch, schwang ein Bein auf die Mauer, hievte den Rest meines Körpers hinauf und sprang auf der anderen Seite zu Boden. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre auf der Leiche des Doralissers gelandet, den Gigant über die Mauer verfrachtet hatte. So einfach war es also, in das Verbotene Viertel einzudringen.
Kapitel 10
Der Sturm zieht auf
Kalter Wind fegte durch die Straße, Walder verzog fröstelnd das Gesicht. Er war es nicht gewohnt, sich in seiner Heimatstadt in dem grauen Umhang eines gewöhnlichen Bürgers zu bewegen und nicht im Ornat des Ordens. Aber er war gerade erst von einer langen Reise in das Imperium diesseits des Sees zurückgekehrt und hatte noch auf der Vortreppe seines Hauses kehrtgemacht, als er zu einer eilig anberaumten Zusammenkunft des Rats der Erzmagier gerufen worden war. Deshalb musste er sich mit dem, was er am Leib trug, zum Turm begeben.
Walder war der jüngste Erzmagier in der Geschichte des Ordens von Vagliostrien, bereits im Alter von dreißig Jahren hatte er den Stab mit den vier Streifen erhalten. Damit ließ er sogar den gegenwärtigen Magister, Erzmagier Panarick, hinter sich, der diesen Stab erst mit fünfundvierzig Jahren bekommen hatte. Freunde wie Neider sagten Walder eine glänzende Karriere voraus und verhießen ihm schon in naher Zukunft den Stab des Magisters. Walder allerdings hegte eine zu starke Abneigung gegen die Intrigen, die den Kampf um dieses Amt begleiteten. Allen schmutzigen Ränken zog er seine Reisen sowie die Erfüllung streng geheimer, von Panarick erhaltener Aufträge vor. Der aufmüpfige Erzmagier – so nannten ihn die jüngeren Magier des Ordens, wegen seiner Vorliebe, den Zusammenkünften des Rats fernzubleiben.
Obwohl es jetzt im Winter früh dunkelte, war es heute noch hell, und die Sonne wollte ihre Herrschaft nicht an die anbrechende Nacht abtreten. Es herrschte leichter Frost, der es, wenn auch unbeholfen, darauf anlegte, die Menschen in die Häuser zu treiben. Unter den Stiefelsohlen des Erzmagiers knirschte der Schnee auf dem Pflaster.
In diesem Jahr war der Winter früh gekommen. Bereits Anfang November
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