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Schattenwanderer

Schattenwanderer

Titel: Schattenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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in einer Feuersäule verbrannte.
    Die bescheidene Anwendung von Magie zehrte Walder vollends aus. Unterdessen schwankte der Turm beträchtlich, als spüre er den nahenden Tod. Gleichwohl öffnete sich die magische Tür tadellos und entließ Walder ins Freie.
    Kälte und eisiger Wind schlugen ihm ins Gesicht. Die Hände, die das nun wieder schlummernde Horn fest umklammert hielten, erstarrten im Nu. Walder torkelte die Straße der Magier hinunter. Der dunkle Turm des Ordens, in dem nicht ein Licht brannte, erhob sich finster hinter ihm. Nur zuweilen blitzte oben an der Spitze ein magischer Funken auf, ein Zeugnis jener Anstrengung, mit der O’Cart die Zerstörung des Spiegelbodens hinauszuzögern suchte. Die Straße der Magier war erstaunlich leer, niemand kam aus seinem Haus, um zu sehen, was im Turm des Ordens vor sich ging. Als seien die Menschen in tiefen Schlaf versunken oder gar gestorben. Die Erde bebte, versuchte die feindliche Magie der Oger auszuspeien. Der Schmerz in Walders Brust wuchs, er sah kaum noch etwas, lief aufs Geratewohl weiter und winselte jedes Mal leise auf, wenn sich ihm ein Dolch des Schmerzes in die Brust bohrte. Blut füllte seine Mundhöhle, rann ihm übers Kinn und tropfte auf das Wams.
    O’Cart hielt bis zu dem Augenblick durch, da Walder die Straße der Schlafenden Katze erreichte. Selbst hier hörte er noch das Klirren des berstenden Spiegels und sodann das triumphierende Donnern, mit dem die Kraft aus der Erde in den Turm hochschoss. Die Explosion warf Walder in den Schnee, er grub das brennende Gesicht in die zärtliche Kühle. Das Donnern riss nicht ab, die Magie der Oger tobte. Einer Ohnmacht nahe, spürte Walder, wie die Lebensfäden der Menschen rissen, die in den Häusern schliefen, wie ein dunkler Fluch Straße um Straße traf, Haus um Haus, Mensch um Mensch. Die Awendumer starben unter entsetzlichen Qualen. Die Kraft der Oger kannte kein Mitleid, kein Erbarmen, sie verleibte sich ein, was ihr in den Weg kam. In wenigen Minuten würde das Böse auch den Ort erreicht haben, an dem Walder lag. Dann würde das Horn für alle Zeit hierbleiben.
    Bei diesem Gedanken drehte sich der Erzmagier auf den Rücken und hielt das mit einer feinen Schneeschicht bedeckte Gesicht den Schneeflocken entgegen, fing sie mit seinem blutigen Mund gierig auf. Der Wind legte sich, die Welt erstarrte, angesichts der heraufziehenden Katastrophe entsetzt, und die Schneeflocken segelten sanft hernieder, in Erwartung des schrecklichsten Sturms in der Geschichte der Stadt. Mit übermenschlicher Anstrengung und kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, kam Walder auf die Beine, um in die Richtung des Turmes zu schauen. Früher war er bereits vom Beginn der Straße der Schlafenden Katze aus zu sehen gewesen. Jetzt erhob sich an der Stelle, an der einst die Feste des Ordens gestanden hatte, eine irrsinnige schwarze Windhose. Ein gewöhnlicher Mensch sah sie natürlich nicht. Aber der magische Blick Walders, wenn auch durch den Schmerz geschwächt, machte den schwarzen Trichter mühelos aus.
    »Keine Windhose. Ein Sturm. Ein schwarzer Sturm«, flüsterte er im Sterben.
    Walder legte noch einige Schritte zurück, bevor er abermals fiel und diesmal die letzten Kräfte einbüßte. Er brach unmittelbar vor dem Sockel der Statue Sagoths zusammen, auf dem kleinen Platz der Schlafenden Katze. Der obere Teil des Gesichts war unter einer Schicht frischen Schnees verborgen, nur die Lippen lagen noch frei. Der Gott der Diebe lächelte dem Erzmagier spöttisch, aber auch wohlwollend zu. Walder suchte die Stelle, wo unter der Schneeschicht die Augen liegen mussten. »Ich muss das Horn retten«, flehte er. »Ich muss.«
    Sagoth indes lächelte nur und schwieg. Der Schnee überzog nun auch seine Schultern, verwandelte die Statue in einen bizarren Schneemann.
     
    Leise, leise Schnee kalt zu Boden fällt,
    Bom-tirlim, bom-tirlim,
    Kein Kind heut Nacht ein Auge zubehält,
    Bom-tirlim, bom-tirlim.
     
    Der Erzmagier fing an zu fantasieren. Er wusste nicht mehr, wo und wer er war. So langsam wie das Wasser in einem trägen Fluss verwandelte er sich zu Eis, schlief ein. Mit jedem Schlag seines Herzens wich das Leben aus seinem Körper. Sein Verstand weilte bereits in Gefilden, aus denen es kein Zurück gibt.
    »Meister Walder! Meister Walder! Kommt zu Euch, Lehrer!« Eine geschlagene Minute schon schüttelte jemand den Erzmagier an der Schulter.
    Er wollte diese Pein beenden. Wie beglückend es doch war, im Schnee zu dämmern und

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