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Schattenwanderer

Schattenwanderer

Titel: Schattenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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schaffte er es nur noch, seinen erloschenen Schild neuerlich zu entfachen, alle verbliebene Energie hineinzuschicken und ihm die Wirkung eines leichten Vexierspiegels zu geben. Zwischen dem Erzmagier und dem magischen Geschoss entstand eine blendend blaue Mauer. Semmels Magie traf auf den Schild und zertrümmerte ihn in Hunderttausende blauer Funken, welche gleich Spukbildern durch den zerstörten Raum wirbelten. Mit verminderter Wucht prallte die Kugel schließlich gegen den Erzmagier.
    In seiner Brust explodierte eine flammende Garbe des Schmerzes. Er wand und krümmte sich und bemerkte nicht, dass O’Cart abermals Feuer einsetzte, diesmal jedoch nicht gegen Semmel, sondern gegen das Horn, über dem sich die schwarze Magie zusammenballte. Der Filänder hoffte, auf diese Weise das Zentrum der feindlichen Kraft zu verschieben und sie so zu schwächen. Doch das Horn des Regenbogens drehte sich nur kurz auf dem Spiegelboden um die eigene Achse, bewegte sich aber kaum vom Fleck.
    »Was …«, konnte Semmel noch hervorbringen, bevor ihn der Kronk-a-Mor in Staub verwandelte. Hernach durchbohrte die schwarze Lanze den Spiegel, verschwand und grub sich tief, tief unter den Turm des Ordens in die Erde ein.
    Im Ratssaal wurde es sehr leise, nur der kalte Wind wehte durch die Löcher in den Wänden, und Schneeflocken segelten vom nächtlichen Himmel.
    »Lebst du noch?« O’Cart trat an Walder heran, der auf dem Boden lag.
    »Ja, aber es ist nur eine Frage der Zeit.« Der Zauberer wollte sich ein Lächeln abringen. Blut trat auf seine Lippen.
    Seine Brust schmerzte, die Rippen waren gebrochen, er bekam kaum noch Luft. Er lebte noch, machte sich jedoch keine falschen Hoffnungen.
    »Hervorragend«, sagte O’Cart. »Fünfzehn Minuten wirst du schon noch durchhalten. Das reicht vollauf.«
    »Wofür?« Walder setzte sich auf, die Hände gegen die Brust gepresst, und spuckte Blut auf den Spiegelboden.
    »Dafür, das Horn aus dem Turm zu bringen. Wir brauchen es nämlich, trotz allem.« Der Filänder hielt Walder das Artefakt hin. »Beeil dich! Du hast noch die ganze Ewigkeit vor dir, um dich auszuruhen.«
    »Ich soll es wegbringen? Wohin?« Der Schmerz beeinträchtigte sein Denkvermögen.
    »Weit weg von diesem Ort. Da, sieh mal!«
    Walder sah auf die Stelle, auf die O’Cart zeigte. In dem magischen Spiegelfußboden trat ein gekrümmter Haarriss zutage. Dann ein weiterer. Und noch einer.
    »Der Spiegel zerspringt bald, und dann bleibt vom Turm nichts als Erinnerung übrig. Aber das, was durch ihn hindurch in die Erde gelangte, wird sich in Awendum ausbreiten. Steh auf! Beeil dich! Du warst doch sonst nicht so schwer von Begriff!«
    »Und was tust du?« Mühevoll stand Walder auf.
    »Ich halte den Spiegel so lange zusammen, wie ich nur kann.«
    »Ich bin schon tot, O’Cart. Lass uns tauschen. Dann hast du wenigstens die Möglichkeit, dich zu retten!«
    »Wir sind doch alle längst tot. Wenn du hier bleibst, wird der Spiegel sehr rasch bersten. Du bist zu schwach. Ich werde versuchen, ihn wenigstens so lange zusammenzuhalten, bis du den Turm verlassen hast. Genug! Geh jetzt!«
    Sie verabschiedeten sich nicht voneinander. Jeder von ihnen erfüllte seine Pflicht, jeder von ihnen wusste, was er riskierte. O’Cart wandte sich von Walder ab, hob die Hände, hielt sie ausgestreckt vor sich und schickte Kraftströme auf den knisternden Spiegelboden. So würde Walder ihn in Erinnerung behalten. Konzentriert und ungebrochen.
    Die Wendeltreppe verlangte dem Erzmagier das Letzte ab. Als Walder das Erdgeschoss erreichte, war ihm schwarz vor Augen und der Schmerz in seiner Brust zu einer riesigen pulsierenden Kugel angewachsen. Er spuckte unablässig Blut aus. Der Turm des Ordens bebte leicht. Unvorstellbare Kräfte maßen sich in diesen Sekunden miteinander, und der Erzmagier zweifelte nicht daran, dass der Kronk-a-Mor obsiegen würde, selbst wenn Semmel ihn nicht vollständig hatte freisetzen können. Was danach geschehen würde – das malte sich Walder lieber nicht aus.
    »G-gib!«, verlangte eine energische Stimme. Der Magier zuckte erschrocken zusammen.
    Unmittelbar vor ihm saß, auf der Leiche Ilios, der Ghole. Seine Visage war über und über von Blut beschmiert, die krummen Hände umklammerten das zur Hälfte abgenagte Bein des toten Erzmagiers.
    »G-gib!« Das Monster sah Walder verschlagen an und sog gierig den Geruch frischen Blutes ein.
    Da machte Walder, wovon er immer geträumt hatte. Der Ghole schrie noch einmal auf, ehe er

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