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Schattenwanderer

Schattenwanderer

Titel: Schattenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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das, was ich aus dem Traum erfahren hatte. Doch Schluss jetzt! Sollte sich der Orden über das wahre Wesen des Herrn den Kopf zerbrechen, ich musste derweil meine Arbeit erledigen und mit heiler Haut aus dem Geschlossenen Viertel herauskommen.
    Ich stand auf und ging langsam die Straße hinunter.
    Ein seltsamer Ort, dieses Geschlossene Viertel. Eine leichte Enttäuschung konnte ich dennoch nicht leugnen. Wie viele Gerüchte und Schauermärchen über diesen Teil Awendums in Umlauf waren! Und dabei war es hier ganz friedlich und ruhig. Fast wie in einem der gepflegten Parks des Königs – obwohl ich mir natürlich noch nicht das Vergnügen erlaubt hatte, in einer dieser Anlagen zu flanieren. Die Gardisten in den grauen und blauen Farben zeigen gar zu wenig Sinn für Humor.
    Beim Sprung von der Mauer ins Geschlossene Viertel hatte ich mich ein wenig verrechnet und war auf der Leiche des toten Doralissers gelandet, den Gigant mit seiner Hellebarde hierher befördert hatte. Leise fluchend hatte ich mir das Blut des Ziegenmenschen von den Stiefelsohlen gewischt. Das hätte mir noch gefehlt, wenn die hiesigen Bewohner vor der Zeit auf mich aufmerksam würden. Nun, da ich die lange Straße der Menschen zur Hälfte hinter mich gebracht hatte, beschlichen mich jedoch allmählich Zweifel an den Gerüchten, wonach im Geschlossenen Viertel allerlei Untote und mysteriöse, jedoch ausgesprochen hungrige Monster lebten. Ja, ich war sogar versucht, mitten auf der Straße weiterzugehen.
    Die Pläne aus der Königlichen Bibliothek hatten sich als verblüffend genau erwiesen. Ich war wirklich auf der breiten Straße der Menschen herausgekommen, neben einem flachen Haus mit verfaultem Holzdach, einem Laden vielleicht, oder dem Geschäft eines Baders, das ließ sich anhand des verrosteten Schildes nicht mehr sagen. Vorsichtshalber hatte ich noch einmal zu Sagoth gebetet, bevor ich losmarschiert war, mich an die Karte haltend, die ich fest im Kopf hatte.
    Die Straße der Menschen lag verlassen, genau wie ich erwartet hatte. Verlassen und … irgendwie absolut unwirklich. In den entglasten Fenstern raunte leise der Sommerwind, zuweilen schwankte quietschend eines der Schilder über den verfallenen Geschäften im Wind hin und her. Neben einem der Häuser standen morsche Schlitten, auf dem Pflaster türmten sich Schuttberge, hauptsächlich Teile von Wohnhäusern und ihren Dächern. Leben gab es jedoch keines. Nicht eine Seele, nicht ein Skelett, weder das eines Menschen noch eines Pferdes oder Hundes. Graues trübes Licht und das fahle Silber des Vollmonds schufen den Eindruck einer toten, seit Langem verlassenen Welt. Und noch etwas: Es fehlte der Juninebel, an den ich mich in den letzten drei Wochen gewöhnt hatte.
    Zu meinem Entsetzen versagte mir der magische Blick unversehens den Dienst, nachdem ich die Straße der Menschen ein paar Dutzend Yard hinuntergegangen war. Die Farben erloschen, die Welt flackerte noch einmal und löste sich dann in Schatten und Dunkel auf. Ich fühlte mich hilflos wie ein blinder Kater in der Hütte eines wütenden Hundes und hätte am liebsten auf der Stelle kehrtgemacht. Es gelang mir aber, das Gespenst der Kleinmütigkeit weit, weit fortzujagen, in den hintersten Winkel meines Kopfes. Es protestierte zwar und wollte wieder herauskommen – doch da hatte es die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
    Das war es also, das Friedhofskönigreich, das Reich der grauen Träume. Das leise Rauschen des Windes, der den toten Häusern ein Wiegenlied sang, und muffiger Geruch begleiteten mich durch die Straße der Menschen. Hin und wieder drehte ich mich zurück, meist instinktiv, und erwartete, innerlich vor Kälte erstarrt, jemanden oder etwas hinter mir herschleichen zu sehen. Aber alles war totenstill. Daraufhin ging ich möglichst leise weiter, auf jedes Geräusch lauernd. Die bedrückende Stille schrie immer wieder jäh auf, geweckt durch den plötzlich losfegenden Wind. Er fuhr in die Ruinen der toten Häuser, schoss mit geheimnisvollem Pfeifen aus den Tordurchgängen, rüttelte an den lockeren Fensterläden, zerrte an den klappernden Blechdächern und verstummte wieder, versank in seinen unruhigen Sommerschlaf.
    Nur einmal jagte mir ein unerklärlicher und eben deshalb beängstigender Laut einen kalten Schauder über den Rücken. Als ich an einem einst prachtvollen, mit inzwischen verblasster grüner Farbe gestrichenen Haus vorbeilief, vernahm ich das leise Weinen eines Kindes, das gleich wieder abriss. Ich

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