Schattenwanderer
Eine weitere Tür. Ich stieß sie auf, riss mir den Handschuh von der linken Hand, warf ihn ins Dunkel, drehte mich um und rannte in die entgegengesetzte Richtung davon, wandte mich dann nach links, entging wie durch ein Wunder dem Zusammenstoß mit einem Tisch und schlüpfte durch eine unscheinbare Tür für Dienstboten. Nachdem ich sie hinter mir zugeschlagen hatte, sackte ich mit dem Rücken gegen die Wand und versuchte, meines krampfhaften Atems Herr zu werden. Die Spitze des magischen Bolzens schirmte ich mit der Hand ab, damit das Licht, das von ihm ausging, nicht durch den Spalt unter der Tür fiel und mich verriet.
Das zarte rote Licht schimmerte durch meine Finger und beleuchtete mein Gesicht. Nein, das half nichts, so blieb das Licht zu sehen. Ich zog den Bolzen aus der Armbrust und steckte ihn wieder weg. Die Welt versank in Finsternis, ich verschmolz mit der Wand und trachtete, möglichst lautlos zu atmen.
Jahrhunderte vergingen, bevor mein Ohr leise Schritte vernahm. Am ehesten erinnerten sie an die Schritte eines barfuß laufenden Kindes. Sie kamen näher, ich kramte unterdessen in meiner Tasche, in der Hoffnung, ein Fläschchen mit dem passenden Zauber zu finden. Vor der Tür blieben die Schritte stehen. Erneut erklang das leise, zufriedene Lachen. Hatte es mich gefunden?
Es kostete mich eine unsagbare Überwindung, nicht kopflos davonzustürzen. Selbst als die Tür aufflog und mir beinah ins Gesicht schlug, rührte ich mich nicht, sondern sandte nur stumme Stoßgebete zu allen Göttern Sialas. Meine Hand steckte nach wie vor in der Tasche, um eine der wahllos ergriffenen Flaschen gekrampft. Noch hatte der kichernde Quäker den Raum nicht betreten.
Ich hörte ein Schnaufen, als wollte das Geschöpf versuchen, mich zu wittern. Mir war völlig schleierhaft, warum diese Kreatur nicht hereinkam, sie musste doch selbst in dieser undurchdringlichen Finsternis hervorragend sehen (zumindest hatte ich nicht gehört, dass sie auf ihrem Weg durchs Haus auch nur gegen irgendetwas gestoßen wäre). Ein weiteres Kichern des Geschöpfs, ein weiterer Eisklumpen in meinem Bauch. Der Quäker lauerte zwischen dieser Tür und der, durch die ich den Handschuh geworfen und die er ebenfalls aufgestoßen hatte.
Die Sandkörner der Zeit rieselten unendlich langsam. Ich verfluchte mich für meine dumme Idee, mich überhaupt in einem Haus zu verstecken. Ich hätte die Straße hinunterrennen sollen, dort hätte ich vielleicht einen anständigen Unterschlupf gefunden. In diesem Raum aber fühlte ich mich so hilflos wie ein Kobold im Labyrinth der Orks.
Irgendwann hörte ich erneut das leise Lachen, kurz darauf auch das Schlurfen nackter Kinderfüße, die sich entfernten. Dem Geräusch nach ging das Geschöpf gerade in den anderen Raum, blieb stehen … Wieder Schritte, ein triumphierendes Gekicher, offenbar hatte es meinen Handschuh gefunden, danach schnelle, verebbende Schritte, die schließlich von der Stille geschluckt wurden.
Langsam sackte ich an der Wand hinunter zu Boden. Meine Hände zitterten, zu gern hätte ich etwas Kräftiges getrunken. Zum Beispiel Gosmos berühmten Selbstgebrannten. Auf keinen Fall durfte ich hier bleiben, denn diese Kreatur würde zurückkommen, sobald sie begriffen hatte, dass sie mit einem billigen Trick hinters Licht geführt worden war. Also zurück zur Straße der Menschen? Oder sollte ich mich trotz allem durchs Haus zur Straße der Schlafenden Katze schlagen? Ein paar Mal war ich schon in solchen Häusern gewesen. Im Grunde waren sie alle gleich gebaut. Zurzeit befand ich mich im Dienstbotenflügel. Wenn ich geradeaus weiterlief und die dritte Tür rechter Hand nahm, würde ich durch dieses Zimmer in die hintere Hälfte gelangen. Dort müsste die Küche liegen, durch die ich zur Schlafenden Katze käme. Das Ganze wäre die Sache einer Minute. Abermals kramte ich den Feuerbolzen heraus – auf ein »Feuer« wollte ich lieber verzichten – und setzte mit dieser improvisierten Lichtquelle in der Hand den Weg durchs Haus fort.
Ich stieg über einen umgestürzten Schrank mit einer zerschlagenen Rückwand und stieß die Tür in das Zimmer auf, in das ich musste. Gewohnheitsgemäß schloss ich sie hinter mir. Das matte rote Licht trotzte dem Dunkel einige Bilder ab, einen Tisch, auf dem eine fliederfarbene Vase der tiefländischen Meister mit einem vertrockneten Blumenstrauß darin stand. Die Blütenblätter waren längst abgefallen und bedeckten in einer dünnen braunen Schicht des Todes
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