Schattenwanderer
in meinem Kopf eingenistet hatte, konnte mir gestohlen bleiben! Am liebsten hätte ich mir die Stimme des verfluchten Erzmagiers aus den Ohren gekratzt.
Ich helfe dir, hier herauszukommen und deine Aufgabe zu erledigen.
»Welche Aufgabe?«
Du warst ich, und ich wurde zu dir. Du kennst mein Leben, ich kenne deines. All deine Aufgaben. Wir sind ein Ganzes.
»Das sind wir nicht!« Wütend stieß ich mit dem Fuß gegen den Schädel des Toten, sodass er zur Wand kullerte. »Das ist mein Körper!«
Von mir aus. Walder verzichtete auf jeden Streit. Aber erlaube mir zu schlafen, dann helfe ich dir, aus diesem Zimmer zu kommen .
»Zu schlafen? Was heißt das? Willst du in meinem Kopf schlafen?«
Ja, ich sehne mich nach Ruhe und Vergessen.
»Nein, nein und tausend Mal nein! H’san’kor soll mich fressen! Das ist mein Kopf! Und nur mein Kopf!«
Gut , erwiderte Walder nach kurzem Schweigen. Ich helfe dir ohne jede Bedingung, danach gehe ich fort. Du bist in den Spiegel der Zeit geraten. Das Fenster. Klettere zum Fenster hinaus. Spring einfach, ohne vorher darüber nachzudenken!
Die Stimme verstummte. Als ich in mich hineinlauschte, blieb alles still. Walder war entweder eingeschlummert oder tatsächlich fortgegangen.
Das Fenster? Ich sollte durch das Fenster springen? Hinaus in die Winterwelt? Und wenn ich dann in der Welt von vor dreihundert Jahren landete? Konnte ich dann wieder in die Gegenwart oder musste ich den Rest meines Lebens an einem Ort zubringen, der mir gänzlich unbekannt war? Der Erzmagier schwieg, und mir blieb nichts anderes übrig, als seinem Rat zu folgen und diesen vermaledeiten Raum durch das nicht minder vermaledeite Fenster zu verlassen. Die Zeit war unbemerkt davongeflogen, noch zwei, drei Stunden, und es würde tagen. Ich musste diesen elenden Ort verlassen haben, ehe das rosafarbene Licht der ersten Sonnenstrahlen den Horizont färbte.
Ich trat ans Fenster, das genau wie Tausende anderer Fenster im Geschlossenen Viertel eingeschlagen war, und schaute hinaus. Über mein Gesicht strich eisiger Wind. Was hatte der Erzmagier gesagt? Spring einfach, ohne vorher darüber nachzudenken!
Leicht gesagt! Gewiss, aus einigen der reichen Häuser, denen ich in meinem Leben bereits einen Besuch abgestattet hatte, war ich noch eiliger entschwunden. Wenn einem ein Dutzend Soldaten auf den Fersen ist, die einen zu gern in Brei verwandeln würden, dann flieht man nicht nur durchs Fenster – dann flieht man gar durch den Schornstein.
Ich tauschte den Feuerbolzen aus, denn das Mondlicht, das zum Fenster hereinfiel und sich im Schnee spiegelte, genügte vollauf. Anschließend richtete ich die Armbrust aufs Fenster und betätigte den Abzug. Die Sehne flirrte und schickte den Bolzen zum Fenster hinaus. Der verschwand, ohne gegen die Wand des Hauses gegenüber zu schlagen. Er verschwand einfach. Punkt.
»Die Dämonen der Finsternis sollen meine Leber fressen!«, schrie ich, während ich Anlauf nahm und ins Ungewisse sprang.
Das Fenster huschte an mir vorbei, der Mond zog träge über den Himmel, der Schnee segelte sanft zu Boden. Ich landete hart auf dem Pflaster, konnte mich nicht halten und rollte mich über die rechte Schulter ab. Als ich aufstand, schmerzte die ganze rechte Seite, doch darauf achtete ich nicht weiter. Das Gaukelwerk hatte sich aufgelöst, war vom Wind der Zeit davongetragen worden. Kein Schnee, keine gepflegten Häuser mit freundlichen, warm schimmernden Fenstern, keine eifrig beschäftigten Menschen. Vor mir lag die tote Straße der Schlafenden Katze, lagen die toten Häuser mit den toten Fenstern. In einer Sommernacht. Ich war am richtigen Ort.
Hatte mich der Erzmagier, der sich in meinem Kopf eingenistet hatte, also nicht belogen, ich hatte durchs Fenster springen müssen. Ich blickte zurück, zum Haus des Richters, zum Fenster, durch das ich gehechtet war. Neugier packte mich. Ich trat ans Fenster und spähte ins Zimmer. Der Tisch, die Vase, das Skelett. Die Tür. Dahinter der dunkle Schlund des Korridors, der in die finsteren Tiefen des richterlichen Hauses führte.
»Jetzt bloß weg hier!«, murmelte ich und schob meine Armbrust wieder auf den Rücken.
Häuser schieden nun aus, in denen würde ich womöglich für alle Ewigkeiten schmoren. Ich sah mich um, konsultierte die Karte in meinem Kopf und setzte meinen Weg zum Turm fort.
Die Straße der Schlafenden Katze unterschied sich durch nichts von der Straße der Menschen. Auch sie lag verlassen da, auch hier blickten mich
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