Schattenwanderer
täuschen!
Und wie, wenn ich fragen darf? Ich schnaubte, ohne den Blick von der ungerührt wogenden Wolke zu wenden. Was schert es dich überhaupt, wenn sie mich frisst?
Walder schwieg lange. Ich dachte schon, meine Fantasie habe mir die Stimme doch vorgegaukelt.
Ich habe das Leben ein zweites Mal geschenkt bekommen. Ein Leben ohne Pein. Richtiges Leben – und kein graues Etwas, aus dem man weder ins Dunkel noch ins Licht gelangt. Selbst wenn es ein Leben in einem fremden Körper ist, in dem ich nur ein ungebetener Gast bin, es bleibt doch Leben. Erlaube mir, bei dir zu sein, ich werde dich bestimmt nicht stören, vielleicht vermag ich dir bisweilen sogar zu helfen. Jag mich nicht fort! Ich flehe dich an! Die Stimme des Erzmagiers flehte tatsächlich, verströmte eine Todessehnsucht.
Gut. Bleib. Ich war zu dem Schluss gelangt, die Hilfe des Erzmagiers könnte durchaus nützlich für mich sein.
Damit hatte ich also einen improvisierten Schutzpatron. Und was sollte schon so Schreckliches daran sein, wenn im eigenen Kopf eine fremde Stimme erklang? In Awendum gibt es etliche Menschen, vor allem in dem einen Flügel des Krankenhauses der Zehn Märtyrer, die dauerhaft Stimmen im eigenen Kopf beherbergen. Gewiss, wer die geheimnisvollen Stimmen hört, hat Probleme im Oberstübchen, aber man zeige mir doch mal einen normalen Bürger in dieser närrischen Welt!
Bleib von mir aus, aber nur, solange ich im Verbotenen Viertel bin. Abgemacht?
Ja! Danke! In der Stimme schwang Erleichterung mit.
Wie kann ich dieses Geschöpf täuschen?
Klaube ganz langsam einen Stein auf und wirf ihn möglichst weit. Dann lauf los.
Toller Plan! Und ich hatte allen Ernstes gehofft, die Stimme würde mir einen vernünftigen Rat geben. Obwohl … der Plan könnte gelingen. Wenn ich nur schnell genug rannte, schaffte ich es vielleicht bis zur Statue Sagoths, und For hatte gesagt, dort wäre ich absolut sicher und kein Wesen würde sich an mir vergreifen. Ich musste es wagen.
Ich las einen kleinen runden Stein auf und warf ihn in das Fenster, das der Nebelwolke am nächsten war. Der Stein flog in die Finsternis hinein, schlug im Innern gegen eine Wand – und die Mausefalle schnappte zu. Die Wolke schoss wie ein Elfenpfeil auf das überraschende Geräusch zu. Die Irilla musste sehr hungrig sein. Der Nebel verschwand im Haus, und ich flitzte über das gefährliche Stück Straße, wobei ich aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm, dass mir meine Falle nicht allzu viel Zeit gewährte: Der weiße Klumpen, der jetzt an einen blinden magischen Wurm erinnerte, schoss wieder aus dem Gebäude heraus auf die nächtliche Straße. Im Nu hatte sich der Wurm in eine Wolke zurückverwandelt, die zu gern mit meiner entsetzten Person, die sich verzweifelt auf den Galopp konzentrierte, Haschen spielen wollte. Ich lief noch schneller, zum Glück blieben bis zur Statue nur wenige Yard. Als ich hinter mir die körperlosen Finger der Irilla spürte, setzte ich meine letzten Kräfte frei.
Schneller! , feuerte mich Walder an.
Das hätte er sich sparen können.
Ich schaffte es nicht mehr zu bremsen und lief mit aller Wucht gegen den Granitsockel. Der Aufprall presste mir die Luft aus den Lungen, ich schlug rücklings aufs staubige Pflaster, erhaschte dabei jedoch einen Blick auf die seelenlose Nebelwolke, die mir wie ein vom Hunger um den Verstand gebrachter Ghole nachjagte. Doch schon in der nächsten Sekunde zersplitterte die Irilla in Tausende kleiner Flocken und gab dabei einen melodischen und kristallklaren Ton von sich. Ein purpurrotes Feuer, das in der Luft abbrannte. Dann folgten Leere und Stille.
In meinen Ohren hallte noch das Geräusch nach, mit dem die Magie der Statue die Nebelwolke zerfetzt hatte. Wie immer hast du recht behalten, For, mein Lehrer. Die Statue Sagoths ist in der Tat ein sicherer Ort.
»Hör zu, Magier! Du kannst ruhig in meinem Kopf bleiben. Aber fang nicht an, so plötzlich zu sprechen! Halt den Mund, wenn mir keine Gefahr droht! Halt die Schnauze oder verschwinde!«, zischte ich.
Der Erzmagier schwieg. Wunderbar! Diesmal hatte ich den Sieg errungen. Allerdings hätte ich kaum etwas dagegen unternehmen können, wenn er nicht hätte Ruhe geben wollen, jedenfalls nicht, solange kein Magier des Ordens in der Nähe war.
Ich erhob mich und klopfte mir den Staub von Jacke und Hosen. Sobald ich sauber war, drehte ich mich um und trat meinem Gott unter die Augen. Mir stockte der Atem. Die Statue war in der Tat groß, der unbekannte
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