Schattenwandler 02. Gideon
Erleichterung nicht unterdrücken. Fasziniert beobachtete Legna, wie sich die Locken perfekt um ihren Kopf legten und sich auch dort aufrichteten, wo sie es eigentlich nicht können sollten. Und in dem Moment erkannte sie, dass die Haare sich bewegten, als seien sie lebendig. Noch etwas, was sie von den Lykanthropen nicht gewusst hatte.
„Ich weiß, wie wir den Verdacht von den Dämonen ablenken können“, murmelte sie.
Dann schlüpfte die Königin aus ihrem Hemd und stieg aus ihrem Rock. Nackt übergab sie ihre Sachen Legna. Sie schüttelte noch einmal den Kopf und brachte ihr goldenes Haar dazu, jeden Zentimeter ihrer Haut mit einem filigranen Gewebe zu bedecken. Dann verwandelte sich ihr Haar in einen Pelz, während sich die Königin auf alle viere sinken ließ.
Sie schüttelte sich ein letztes Mal, und aus der Frau wurde ein wildes Tier. Der Berglöwe sah zu der Dämonin auf, die ihn ehrfurchtsvoll betrachtete. Doch dann schüttelte Legna ihre Benommenheit ab, während sich die Wildkatze geduckt an die Wachen heranschlich. Dann machte sie plötzlich einen Satz und flog geradezu in die nächste Höhle, wobei sie einen Schrei ausstieß, der Legna das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Vorsichtig, Liebes , beruhigte Gideon sie. Es ist ein Zauber. Der Schrei des Berglöwen ist schon von Natur aus erschreckend, aber sie hat ihn noch drangvoller gemacht.
Legna brauchte ihre ganze Konzentration, um nicht von der panischen Angst übermannt zu werden, die die Wächterinnen gerade ergriff. Die Frauen schrien auf und flohen von ihrem Posten. Sie rasten an Legna vorbei, als seien alle Höllenhunde hinter ihnen her. Legna unterdrückte ein Kichern und folgte Siena. Auch die Königin lachte, als sie noch ein letztes Mal ihr Haar durchschüttelte. Ohne sich darum zu kümmern, dass sie nackt war, führte sie Legna in die kleine Höhle, die von den Wachen abgeschirmt worden war. Corrine war brutal an die Wand gekettet, sodass sie an ihren blutenden Handgelenken hing.
Legna eilte zu ihr hinüber und stützte sie mit ihren starken Armen, während sie ihr die Haare aus dem Gesicht strich. Falls sie sehr schwer verletzt war, wäre es zu gefährlich, sie zu teleportieren. Sie war geschlagen worden, ihr Gesicht war übersät mit Prellungen und voller Blut, aber Legna spürte, wie Gideon ihr versicherte, ihr Zustand erlaube es, sie zu transportieren.
Legna winkte die Königin zu sich herüber.
Doch die schüttelte den Kopf. „Nein. Ich muss diese kleine Scharade weiterspielen. Ich muss auf natürlichem Wege wieder hinaus, entweder durch die Vordertür oder durch einen von den versteckten Ausgängen, die es in diesen Höhlen ganz bestimmt gibt. Dann werden alle annehmen, dass ich nur eine Berglöwin bin.“
Anya kam aufgeregt und atemlos in die Höhle gerannt.
„Sie kommen!“
„Sie werden dich töten“, wandte Legna ein. „Das ist Selbstmord!“
„Zuerst müssen sie mich mal kriegen.“ Die Königin lachte und schüttelte ihr Haar, bis es sich erneut über ihren Körper breitete.
Legna verschwendete diesmal keine Zeit damit, bei der Verwandlung zuzuschauen. Sie packte Anya am Handgelenk und schloss die Augen. Mit einem herzhaften Knall lösten sie sich auf und materialisierten sich nur einen Moment später in der Nebenstraße, von der aus sie den Club betreten hatten.
Gideon und Kane kamen bereits um die Ecke gelaufen.
„Wir müssen von hier verschwinden. Sienas Spiel ist sehr gefährlich.“
Gideons Augen flackerten und zeigten ganz deutlich, dass er nicht besonders erfreut war über das leichtsinnige Verhalten der Königin. Aber Legna war überzeugt, dass hinter dem Wahnsinn Methode steckte. Die Menschenfrauen würden annehmen, dass Corrine entkommen war, während sie einen Berglöwen jagten, der auf unerklärliche Weise in ihre Höhlen eingedrungen war, ohne Zweifel durch einen der Hinterausgänge, die Siena erwähnt hatte.
14
„Du bist heute Abend sehr still gewesen“, sagte Noah zu seiner Schwester. „Ich schätze, die ganze Sache hat dich ziemlich schockiert.“
Legna antwortete nicht, sie schaute nur zu, wie ihr Bruder um den dreieckigen Ratstisch herumging, an dem sie bei ihrem gerade zu Ende gegangenen Meeting gesessen hatten. Die neu entdeckte Freiheit, Jeans zu tragen, gestattete es ihr, die Füße lässig auf die hölzerne Tischplatte zu legen. Offenbar gefiel ihr die nicht besonders damenhafte Haltung.
Jacob und die andern waren vor nicht allzu langer Zeit nach Hause gegangen. Gideon hatte
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